Fethullah Gülen erhält Green Card der USA

Einer der derzeit wohl einflußreichsten islamischen Prediger, Fethullah Gülen, hat nach medizinischer Behandlung und jahrelangem Rechtsstreit die Green Card und damit das lebenslange Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten erhalten. Dies berichtet Associated Press.

Der islamische Gelehrte gilt seinen Anhängern, die in Bereichen der Wirtschaft, Medien und vor allem Bildungsarbeit längst global erfolgreich sind, als Lehrer und Vorbild und hat als einer der ersten muslimischen Prediger auch den religiös verbrämten Terrorismus eindeutig verurteilt. (Ein Interview zu Osama Bin Laden und Al Qaida z.B.)(1) Allerdings hat sich die Gülen-Bewegung nie als Verband organisiert - die Mitglieder verstehen sich als Einzelpersonen, die sich ad hoc zu Unternehmungen miteinander und mit anderen zusammen tun können.

Türkische Nationalisten werfen Gülen jedoch seit langem vor, ein Verbündeter des Westens, der USA, der EU und "der Juden" zu sein. Im Kern wird er beschuldigt, die kemalistische Staatsordnung samt der Vorherrschaft des Militärs umgestalten zu wollen. Extreme Islamisten zürnen zudem, dass Gülen den Bildungsaufstieg für Mädchen und Jungen gleichermaßen fordert und fördert, seinen Anhängerinnen das Kopftuch nicht verbindlich vorschreibt, wie schon Said Nursi nie geheiratet und keine Kinder gezeugt hat und sich im Streit zwischen dem früheren, islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan und der stärker reformorientierten Abspaltung der heutigen Regierungspartei AKP auf Seiten der Reformer geschlagen habe.

Dass sich Gülen seit den 90er Jahren mit Papst Johannes Paul II., den Patriarchen der armenischen und griechischen Kirchen sowie Vertretern jüdischer Gemeinden in der Türkei zu Dialoggesprächen getroffen hat, wird ihm sowohl von islamistischen wie türkisch-nationalistischen Kreisen als Vaterlandsverrat ausgelegt und ihm wird mit rassistischen Untertönen vorgeworfen (!), armenische Vorfahren zu haben.

Kritikerin z.B. Necla Kelek

Auch die Berliner Islamkritikerin Necla Kelek kritisierte in einem FAZ-Beitrag vom Juli(2), Gülen habe sich "in die Vereinigten Staaten abgesetzt, um einer Verhaftung durch das Militär zuvorzukommen." Dass in Demokratien das Militär eigentlich keine Zivilisten verhaften sollte und Gülen später vor einem zivilen Gericht der Türkei von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, erwähnt sie bedauerlicherweise nicht. Dafür vergleicht auch Frau Kelek seine Anhängerschaft im gleichen Text mit dem katholischen Orden Opus Dei - was religionswissenschaftlich abenteuerlich ist, in türkisch-nationalistischen und islamistischen Kontexten aber einem massiven Vorwurf gleichkommt: So ermordete erst im Februar ein aufgehetzter, türkischer Jugendlicher in Trabzon einen katholischen Priester, den er - Sie ahnen es - im Rahmen einer weltweiten, antitürkischen Verschwörung verortete...

Befürworter z.B. Rainer Hermann

Eine sehr viel positivere Einschätzung zu Fethullah Gülen und seiner Bewegung formulierte z.B. der langjährige FAZ-Türkeikorrespondent Rainer Hermann ebenfalls in der Frankfurter Allgemeine Zeitung ("Dem Menschen dienen", FAZ 9.10., S.10, als Online-Version.) (3) Auch in seinem neuen Buch "Wohin geht die türkische Gesellschaft? Kulturkampf in der Türkei"(4) zählt Hermann Gülen und seine Anhänger zu einer letztlich demokratischen Reformbewegung, die die engen Spielräume der Türkei genutzt hätten, um über Bildung, wirtschaftlichen Aufstieg und Dialog Religion und Moderne zu versöhnen. Natürlich sei noch manches an Organisationsform und Lehren (etwa die Ablehnung der Evolutionstheorie) zu hinterfragen, aber seine "Bewegung ist nicht institutionalisiert, und sie ist nicht politisch. Sie will nicht über politische Macht eine "bessere Gesellschaft" schaffen, sondern von unten in der Gesellschaft durch Bildung und Toleranz dem Menschen dienen."

Im Bereich der Islam- und Geschichtswissenschaft hat auch Dr. Bekim Agai über die Gülen-Bewegung gearbeitet und einen differenzierten Befund, aber absolut keine Anhaltspunkte für obskure Verschwörungstheorien gefunden, ein qantara-Beitrag (5)

Fazit

Türkische Nationalisten sollten sich erinnern lassen: In Deutschland gilt das Rechtsstaatsprinzip und massive Anschuldigungen sollten seriös belegt sein, wenn sie keine Verleumdung sein wollen. Dabei ist es schon eine Sache, einem in den USA lebenden Religionsführer Verstellung und Verschwörung zu unterstellen - noch einmal eine andere, auch noch Tausenden von unbescholtenen Menschen in Deutschland pauschal zu unterstellen, sie wären Teil einer "Weltverschwörung". Wird dann noch einerseits unsicherer Rückzug als "Parallelgesellschaft" und andererseits wirtschaftliche oder politische Integration als "Unterwanderung" klassifiziert, hört der Spaß auf. In der Vergangenheit hat Deutschland bereits ähnliche, türkisch-nationalistische Kampagnen gegen Kurden und Aleviten erlebt, die oft ebenso undifferenziert als "Terroristen" oder "Linksextreme" denunziert wurden, was das Ansehen der türkischen Migranten insgesamt und das Zusammenleben auch in Deutschland schwer belastete. Ich finde, es reicht.

Gegen Fethullah Gülen und seine Anhänger liegen in Deutschland weder Verurteilungen noch auch nur belastbare Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche oder kriminelle Tätigkeiten vor: Sie sind und waren keine Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzämter. Dass auch US-Gerichte Gülens Antrag auf die Green Card schließlich entsprachen, wurde eingangs erwähnt.

Der nationalistisch-kemalistische "Vorwurf", amerika-, europa-, christen-, armenier- und judenfreundlich zu sein, fällt eher auf die Urheber der Anschuldigungen zurück. Zu Recht haben alle demokratischen Parteien des deutschen Bundestages, die Bundesregierung und die EU-Kommission das dann auch niedergeschlagene Verbotsverfahren gegen die demokratisch gewählte AKP-Regierung scharf kritisiert, deren Unterstützung Fethullah Gülen von seinen Kritikern "vorgeworfen" wird. Mithin haben wir es auch bei diesen Anschuldigungen wohl eher mit dem Import eines innertürkischen Machtkampfes als mit einer seriösen und ausgewogenen Debatte über eine religiöse Bewegung zu tun.

Gleichwohl ist durchaus zu wünschen, dass sich die Gülen-Bewegung noch stärker auch in Deutschland dem kritisch-konstruktiven Austausch mit Kirchenvertretern, Politikern und Wissenschaftlern öffnet und die (im türkischen Staat leider noch nachvollziehbare) Angst vor transparenten Strukturen noch schneller aufgibt.

Inhaltlich habe ich bei verschiedenen Gesprächen sowohl im wissenschaftlichen wie interreligiösen Rahmen bislang positive Erfahrungen gemacht und erlebe derzeit gespannt, inwiefern mit Anhängern der Bewegung auch ein Dialog z.B. über die Frage der Evolutionstheorie (und meinem Forschungsschwerpunkt, der Evolution der Religiosität (6) ) möglich ist.

Einen auf obskuren und unbelegten Verschwörungstheorien fußenden Pauschalverdacht gegen in Deutschland lebende und sich erfreulicherweise zunehmend in die Gesellschaft einbringende Anhänger von Fethullah Gülen kann ich als Demokrat, Christ und Wissenschaftler nur entschieden zurück weisen! Die türkisch-nationalistischen Betonköpfe möchte ich aufrufen, nicht länger ihre innertürkischen Machtkämpfe mit den immergleichen Kampagnen gegen ethnische oder religiöse Gruppen in Deutschland auszutragen, sondern sich endlich an den Grundsätzen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten (einschließlich der Religionsfreiheit) zu orientieren!

(1) Ein wahrer Muslim kann kein Terrorist sein
(2) Die Anhänger des Fethullah Gülen
(3) Die türkische Bewegung des Fethullah Gülen verbindet Islam und Modernität
(4) Wohin geht die türkische Gesellschaft?
(5) Ein moderner türkisch-islamischer Reformdenker?
(6) Gott, Gene und Gehirn

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