„...Ja, wir hatten einen Putschcode in unseren Genen...“

Ich hatte mir seit langem vorgenommen, über dieses Thema zu schreiben. Es lag mir schon immer auf den Herzen und ich konnte es nicht so recht verarbeiten.

Als ich die beiden Bänder „„Ergenekon Gazeteciligi“[1] “ von Alper Görmüş (Etkileşim Verlag) und sein Interview am Sonntag in der Tageszeitung Taraf las, beschloss ich, meine Gedanken zu diesem Thema zu äußern, um damit meine Seele zu entlasten.

Zusammengefasst sagt Alper Görmüş „ Die mainstream Medien haben Militärputsch` immer unterstützt und haben an der Realisierung des 28. Februar[2] eine Schlüsselrolle gespielt. Sie haben quasi nach den Putschcode in ihren Genen gehandelt…“ Diese Feststellung von Görmüş über großen Teil der „mainstream Medien“ zu denen ich mich auch zähle ist ohne wenn und aber richtig.

Diese Tatsache habe ich bei meinen Recherchen für das in den 90`er Jahren viel diskutierten und immer noch einziges Buch über das türkische Militär EMRET KOMUTANIM[3] gesehen (www.mehmetalibirand.com.tr). Damals habe ich angefangen zu fordern, dass das Militär sich aus der Politik raushalten soll. Aus diesem Grund erfuhr ich zahlreiche Repressalien. Ich wurde angeklagt und es wurden Verleumdungskampagnen gegen mich geführt. Von den heutigen Medienhelden hat man damals keinen gesehen (!)

Für meine Generation hatte der Staat immer Priorität und war immer im Recht. Und den Staat repräsentierte.

Ein Politiker war ein Mensch, der nicht an sein Volk dachte, ein Gauner, ein Lügner und jemand der seine Hosentaschen mit Geld vollstopfte. Der Militärangehörige aber war ein ehrwürdiger Person, der sich für sein Volk aufopferte, ein Held mit voller Hingabe.

Zudem hat ja unser Übervater (Atatürk) die Mission, die laizistisch-demokratische Republik zu schützen ihnen überlassen. Das Militär hatte das Recht die Politiker zu kontrollieren.

Wenn der Politiker etwas falsch machte, durfte das Militär eingreifen.

Wenn wir einem unsicheren Haltung ausgesetzt waren schrieben wir, „Kommandant wo sind sie, der Staat geht verloren“.

Für uns, (also für die Mehrheit der Angehörigen des laizistische „mainstream Medien“) hatte die Demokratie oder das Parlament nicht die Priorität. Der Generalstab war wichtiger, und nichts war natürlicher als dies. Wir wurden so erzogen. In unseren Genen wurde ohne, dass wir es merkten der Putschgedanke eingepflanzt.

Die Überlegenheit der Kommandanten hatten wir ohne zu Hinterfragen akzeptiert. Die Pracht ihrer Uniformen beobachteten wir teils mit Bewunderung teils Beängstigt. Für alle Militärputsch’ hatten wir Verständnis. Wir haben sie unterstütz. In den letzten Jahren sind unsere Genen durcheinander geraten und haben angefangen alles anders zu betrachten.

Zum ersten Mal hat sich die Reihenfolge zwischen der Demokratie-Parlament und dem Generalstab geändert. Demokratie ist ein Schritt vorgetreten. Mal sehen, ob das ein Dauerzustand bleibt? Jetzt frage ich all meine Kollegen: Gibt es jemanden unter euch, der dem was ich hier Schreibe Widerspricht? Wenn es jemanden gibt, den Bitte ich mir zu schreiben. Ich werde seinen Widerspruch hier veröffentlichen.

Nokta hat keine ausreichende Unterstützung von uns bekommen

Eine andere Unruheherd in mir ist die folgende: Als unter Leitung von Alper Görmüş der Wochenzeitschrift NOKTA die „Tagebücher des Militärputschs“ veröffentlichte, haben wir die Dokumente nicht sehr ernst genommen und dem Prozess, der zum Verbot des Zeitschrift` führte zugeschaut.

Einschließlich meiner Person hat ein wichtiger Teil der „mainstream Medien“ keine ausreichende Sensibilität gezeigt. Wir sahen das mit Misstrauen.

Die eine Seite veröffentlichte sehr authentische und bestätigte Informationen aus dem Tagebuch, die andere Seite bestreitet die Richtigkeit kontinuierlich. Und wir hatten Zweifel. Es war das Jahr 2007 als die Dokumente veröffentlicht wurden. Es war die Zeit, als insbesondere die AK Partei dem Militär mit Argwohn begegnete und die „mainstream Medien“ sich von der AK Partei distanzierten. „Wie kann es sein, dass ein Kommandant so etwas schreibt?“ Selbst wenn er es geschrieben hat, wieso ist es nicht bei uns gelandet, sondern bei NOKTA? Anscheinend gibt es eine Verschwörung“. So die gängige Meinung.

Außerdem hatte das Militär zu der Zeit immer noch ein großes Ansehen in der Öffentlichkeit und bei den „mainstream Medien“ hatten sie noch Glaubwürdigkeit und Prestige.

Falls die AK Partei von der Regierung entfernt werden sollte, war die einzige Macht hierfür die Streitkräfte. Der Putschcode in unseren Genen war nicht völlig verschwunden. Die Tagebuchnotizen zu ignorieren, lag uns gelegen, obwohl diese Veröffentlichung für den Beginn des Ergenekon Prozess von grundlegender Bedeutung war. Die Helden dieser Tat waren die Menschen wie Görmüş und die Herausgeber der Zeitschrift NOKTA, die wir nicht kannten. Wir haben uns nicht hinter Ihnen gestellt. Wir konnten nicht einmal unsere Stimme erhöhen. Wenn einem von uns aus den `mainstream Medien` etwas Ähnliches widerfahren wäre, hätten wir Himmel und Erde aufgewirbelt und die Regierung auf den Boden zerschlagen. Wir haben weggeschaut. Heute schäme ich mich dafür.


[1] Ergenekon-Journalismus

[2] Es handelt sich hierbei um einen postmodernen Militärputsch aus dem Jahre 1997. Am 28. Februar 1997 intervenierte das Militär mit einem Memorandum in die Politik der Erbakan Regierung

[3] zu Befehl Kommandant