Der Abgrund zwischen Kemalisten und Religiösen, Mümtaz'er Türköne

Die Worte von Fethullah Gülen sollen als Zweig des Ölbaums, als eine Offensive des Friedens verstanden werden.

Im Exklusiv-Interview mit einem Nachrichtenportal in Deutschland macht Gülen einen sehr weiten Schritt zur Herstellung des sozialen Friedens in der Türkei. Er schlägt zwischen zwei gegensätzlichen Polen eine Brücke. Er lehnt die These ab, dass es in der Türkei zwischen Kemalisten und Religiösen einen tiefen Abgrund gibt. Hocaefendi füllt diesen Abgrund mit einem „ineinander verschlungenen Mosaik“ der „Imperiums-Tradition“ auf.

Fethullah Gülen wird immer zum Thema politischer Diskussionen. Dieser Religionsgelehrte mit unbestrittener Fachgröße ist jedoch kein politischer Führer, sondern ein Wegweiser der Gesellschaft. Er bemüht sich, die Probleme der Gesellschaft zu lösen, ihr einen Weg und eine Richtung zu zeigen. Die gesellschaftlichen Probleme übertragen sich auf die politische Ebene, wenn sie innerhalb der Gesellschaft nicht gelöst werden können. Gibt es einen noch berechtigten gesellschaftlichen Anspruch, in Ruhe und Frieden, unter der Garantie des Rechts leben zu wollen? Auch die Politik muss dabei ihre Funktion erfüllen, der Gesellschaft den Weg bahnen und sie entspannen. Falls dies nicht der Fall ist? Wie wir es auch bei der Volksabstimmung am 12 September und den Wahlen gesehen haben, lassen dann die Menschen ihre politischen Sorgen beiseite und greifen mit dem gesellschaftlichen Verantwortungsgefühl in die Politik ein. Genau das nennen wir Zivilgesellschaftengagement.

Der Kemalismus war ein oberflächliches und enges Gesellschaftsprojekt. Eine elitäre Gruppe aus Halbanalphabeten startete ein gesellschaftliches Modernisierungsprojekt. Diese elitäre Minderheit verwandelte dieses Projekt dann in einen Wunsch, das Volk ständig zu regieren. Der Laizismus wurde als eine ideologische Stütze ihres Herrschaftsprivilegs von ihrem universellen Inhalt entfernt. Es ist ein Ergebnis dieser Tradition, wenn heute der Kemalismus seine Sehnsucht nach Diktatur zum Ausdruck bringt, die mit Putschismus erwähnt wird und mit Demokratie nicht zusammenleben kann.

Der Kemalismus lehnte stets eine gesellschaftliche Tradition ab, in der die Religion im Mittelpunkt steht. Die Religionsauffassung bedeutet jedoch nicht eine Suche nach einer religiösen Autorität, die den Laizismus ablehnt. Sie selbst ist die gesellschaftliche Tradition, die die Gesellschaft im Gleichgewicht und gesund hält. Die Tradition ist ein starkes Wertesystem, dessen Dauerhaftigkeit durch Erfahrenheit bewiesen worden ist. Da der Konservativismus sich auf diese Erfahrenheit stützt, konnte er auch auf dem politischen Feld betreuende Funktion erfüllen.

Kilicdaroglu und Bahceli konnten nicht verstehen, als der Ministerpräsident ihnen erklärte, dass er ihnen keine Rechtsansprüche stellt. Jemandem keine Rechtsansprüche stellen (helallik almak) oder jemanden darum bitten, keine Rechtsansprüche zu stellen (helallik almak) bedeutet ein Verzicht oder Anspruch bezüglich des Menschenrechts. Dies ist einer der wichtigsten Werte der Religion, die die Gesellschaft in Harmonie und Frieden hält. Wenn sie jemandem erklären, dass sie ihm keine Rechtsansprüche stellen, indem Sie ihm etwas verzeihen oder gewähren, so heißt das, dass sie vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist und eine neue Seite aufschlagen. Die Gesellschaft stellt also ihr Gleichgewicht auf solchen Werten her und geht ihren Weg weiter. Der Kemalismus blieb deshalb als eine enge und oberflächliche Ideologie, weil er die unverzichtbare Rolle der Religion innerhalb dieser gesellschaftlichen Traditionen nicht begreifen konnte. Heute wird der Ak Partei nicht mehr vorgeworfen, eine Staatsordnung nach religiösen Grundlagen herstellen zu wollen. Anstatt dessen wird dem Obmann der Ak Partei vorgeworfen, die Absicht zu verfolgen, in eine autoritäre Regierung zu wechseln. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Wenn Sie sich über die Diktatur beschweren, dann müssen Sie sich auf die Institutionen und Mechanismen der Demokratie konzentrieren und diese bekräftigen. Die neue Verfassung ist hier eine Chance. Sie werden diesmal die außerdemokratischen Felder, die nach dem Militärvormundschaft gebildet wurden, einer demokratischen Kontrolle unterziehen. Die Lösung ist mehr Demokratie. Niemand lehnt dies ab. Der Abgrund wird nunmehr auf diese Weise aufgefüllt.

Zwischen Kemalisten und Konservativen gibt es also keinen Abgrund, der nicht aufzufüllen wäre. Es ist nicht möglich eine Diktatur für eine elitäre Minderheit zu gründen. Deshalb ist der Kemalismus eine untergegangene Ideologie. Diejenigen, die ihre Existenz der Herrschaft verdanken, werden jetzt Wege für das Zusammenleben finden oder mit den bereits gefundenen Wegen zufrieden sein. Wenn die Kemalisten mit der Demokratie überzeugt werden, dann wird sich der Abgrund selbst auflösen.

Bei seiner Balkonrede betonte der Ministerpräsident inständig die Bruder- und Freundesstaaten auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches. Und Fethullah Gülen erinnert uns an die Chancen und Möglichkeiten des Zusammenlebens, die das Erbe des Imperiums bietet. Das ist die Tradition, auf die wir uns stützen und aus dem wir Kräfte sammeln. Wir gründen kein neues Imperium. Um im In- und Ausland den Frieden herzustellen, nehmen wir unsere Tradition des Zusammenlebens wahr.

Das ist der Grund, warum wir es so leicht schaffen, statt Blutrache Verzeihung zu suchen.

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