Was bedeutet der Satz: „Während die Zeit immer älter wird, wird der Koran immer jünger!“?

Vor Anbeginn der Zeit kam der Koran aus der Ewigkeit zu uns. Nach dem Ende der Zeit wird er dorthin zurückkehren. Sein Ursprung liegt im alles umfassenden Wissen Gottes (ilm), der die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zur Gänze und in allen Einzelheiten kennt. Der Koran wurde vor 14 Jahrhunderten offenbart. Zu seinen Wundern gehört die Tatsache, dass er der Menschheit heute noch Antworten auf zeitgemäße Fragen gibt und sie auch in der Zukunft über Dinge aufklären wird, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar sind. Dies gelingt ihm deshalb, weil er ein Teil des alles umfassenden Wissens Gottes ist, der unsere Herzschläge hört und gleichzeitig das ganze Universum mühelos beherrscht. Je älter der Mensch wird, desto schwächer wird sein Gedächtnis. Im Gegenzug wird er aber gelassener und erkennt bestimmte Zusammenhänge besser: Er wird vernünftiger und entscheidet behutsamer. Für die Gesellschaft gilt, dass auch sie Fortschritte erzielt und sich immer größere Erkenntnisse über die Welt aneignet. Aus den Bemühungen der Menschen sind Wissenschaften wie die Physik, Chemie, Biologie, Astronomie oder Astrophysik hervorgegangen, die bestimmte Phänomene, welche man früher einfach hinnahm oder gar als geheimnisvolle Rätsel auf sich beruhen ließ, überzeugend deuten können. So wie das zunehmende Alter das Individuum einsichtiger und weiser macht, scheint die Zunahme menschlicher Erkenntnisse insgesamt unser Wissen um die Welt zuverlässiger und fundierter zu machen.

Warum aber, fragt man sich, soll der Koran jünger werden, während die Zeit und das Wissen älter werden. Dies geschieht in dem Sinne, dass seine Aussagen verständlicher, frischer und kraftvoller werden. Denn die Weiterentwicklung der Wissenschaften und die Eröffnung neuer Einblicke in die Natur lassen bestimmte Verse im Koran klarer werden. Einige Beispiele wurden schon genannt: der Aufstieg in den Himmel, atmosphärische Ereignisse, die fruchtbare Wirkung der Winde, die Frage nach der Ursache für den Regen, das Vorhandensein von Wasserlagern unter der Erde, die Tatsachen, dass alles paarweise erschaffen wurde und dass sich das Universum ausdehnt, die Rotation und die präzise Form der Erde, die allmähliche Neuformierung ihrer Landmassen, die Bewegung der Sonne und des Mondes, die Möglichkeit, zum Mond zu reisen, die zentripedalen und zentrifugalen Kräfte, die die Himmel wie unsichtbare Säulen stützen, die Ordnung und Einheit der Schöpfung und ihre Entstehung, das Schicksal der Sterne, der Sonne und des Mondes, die Bildung eines Fötus und dessen Entwicklung im Uterus oder die Milchproduktion der Säugetiere; darüber hinaus all die historischen Fakten über längst erloschene Nationen und Staaten und besondere Prophezeiungen, die sich seit der Offenbarung des Koran erfüllten. Diese Liste lässt sich beliebig erweitern; denn wie Bergsteiger, die sich vergeblich danach sehnen, einen außer ihrer Reichweite liegenden Gipfel zu besteigen, werden wir immer hinter dem Koran zurückbleiben und nach seiner Weisheit streben. Wenn unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse weiter zunehmen, werden wir vielleicht eines Tages in der Lage sein, Entfernungen von Trillionen von Lichtjahren zu überblicken. Sollten wir nicht spätestens dann in Ehrfurcht vor der Herrlichkeit und Pracht Gottes, der dieses gewaltige Universum erschuf und es in Seiner unendlichen Gnade für uns verständlich machte, erstarren?

Der Koran ist nicht nur voller Weisheiten, die die Welt der Erscheinungen betreffen, sondern auch ein Leitfaden der geeignetsten Normen und Bestimmungen für das Leben der Menschen. Er macht ihr Leben zivilisiert und sicher und ihre Beziehungen stark und beständig. Was diesen Punkt betrifft, so haben wir es bislang versäumt, uns an die koranischen Lehren zu halten. Anders als auf dem Gebiet der Wissenschaften haben sich die Menschen und insbesondere die Muslime (denn sie glauben ja an den Koran) in diesem Bereich von der Rechtleitung ihres Schöpfers abgewandt und Wege eingeschlagen, die in die Barbarei und ins Elend führen. Zieht man die Bemühungen um die Installierung von Ideologien wie Kommunismus oder Kapitalismus, Faschismus oder Liberalismus zu einem Vergleich mit den Aktivitäten der Muslime im gesellschaftlichen Bereich heran, wird man zu der Erkenntnis gelangen, dass Muslime auf diesen Teil der Weisheit des Koran nicht genug Wert gelegt haben. Dabei befindet sich die Menschheit derzeit in einer äußerst gefährlichen Situation: Nicht einmal die grundlegendsten Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, haben wir lösen können. Ständig hören wir, wie Menschen selbstsicher verkünden, dass uns dieses oder jenes System wirtschaftlichen Fortschritt und Sicherheit bringen wird. Sobald es aber einmal installiert ist, sehen wir, dass Egoismus, Ausbeutung, Opportunismus, Betrug und Gefühllosigkeit in den Herzen immer mehr Raum gewinnen.

Nicht nur in ihren wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, sondern auch in ihren persönlichen und familiären Angelegenheiten haben sich die Menschen vom Weg des Koran entfernt. Sie haben es zugelassen, sich von Ausbildungs- und Erziehungssystemen, die in den Disziplinen Psychologie und Soziologie im Rahmen vorübergehender Zeiterscheinungen entwickelt wurden, in den Bann ziehen zu lassen. Welche Folgen bringen diese nicht-islamischen Moden für das gesellschaftliche Leben mit sich? Alkoholismus und Abhängigkeiten aller Art treten auf, ein enormer Anstieg bei den übelsten Straftaten ist zu verzeichnen. Männer und Frauen, jung wie alt, ängstlich wie depressiv, wissen nicht, wie man liebt und für andere sorgt, sind eingeschüchtert, allein und verzweifelt. Solange wir uns nicht auf die Rechtleitung des Koran zurückbesinnen, werden weder Ordnung in unsere Gesellschaft noch Wärme und Liebe in unsere Familien zurückkehren.

Wenn wir anderen Menschen den Koran vorstellen und diese sich dem Buch mit neuen und vorurteilsfreien Gedanken nähern, dann hören sie eine Botschaft, die mit ihrem innersten Wesen korrespondiert und mit den Möglichkeiten und Bedürfnissen übereinstimmt, die ihr Schöpfer, der Eine, dort eingepflanzt hat. Wie könnte es auch anders sein, da wir doch genau wie der Koran in Ihm unseren Ursprung haben?

Was für die Zeit gilt, gilt wohl auch für uns: Auch wir nähern uns den ,letzten Tagen' bzw. dem Ende der Zeit. Während wir vermeintlich in einer Welt des Elends, der Ungerechtigkeit und Grausamkeit gefangen sind, ruft uns der Koran herbei, und seine Aussagen sind klar, jugendlich frisch und kraftvoll. Er rüttelt uns wach, weckt unsere Lebensgeister und bringt uns unsere Willens- und Schaffenskraft zurück, damit wir erkennen und tun, was rechtens ist. Obwohl der Koran schon lange bei uns ist, haben wir unsere Pflicht, ihn voller Ehrerbietung anzuerkennen, noch nicht erfüllen können. Ähneln wir nicht vielleicht durstigen Männern und Frauen, die so desorientiert sind, dass sie das klare Durst löschende Wasser zu ihren Füßen gar nicht bemerken?

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