Ein wahrer Muslim kann kein Terrorist sein
Es scheint so, als unterhielte das al-Qaida-Netzwerk eine Zelle in der Türkei. Sie haben über die religiöse Seite dieses Themas gesprochen. Hat es auch noch andere Implikationen?
Einer der Menschen, die ich auf der Welt am meisten hasse, ist [Osama] Bin Laden, weil er das helle Erscheinungsbild des Islam getrübt und es durch ein schmutziges Bild ersetzt hat. Selbst wenn wir uns mit aller Kraft bemühen, diesen furchtbaren Schaden zu reparieren, wird es Jahre dauern.
Wir werden das Thema überall, auf unterschiedlichen Plattformen zur Sprache bringen. Wir werden Bücher darüber veröffentlichen. Wir werden sagen: „Das ist nicht der Islam. Bin Laden hat den Islam durch seine Gefühle und Wünsche ersetzt. Er ist ein Scheusal, genau wie die Leute, die sich um ihn geschart haben. Und auch all jene, die ihnen ähneln, sind nichts anderes als Scheusale.
Wir missbilligen diese Entdeckung [die Existenz terroristischer Zellen in der Türkei]. Dennoch müssen in einer Welt, die als islamisch gilt - und ich habe ja bereits gesagt, dass ich den Begriff islamische Welt nicht akzeptiere. Es gibt nur Länder, in denen Muslime leben. -, die Menschen zur Verhinderung solcher Entwicklungen ihre Probleme lösen.
Die entscheidenden Fragen werden sein, ob sie anders denken, wenn sie ihre Führer wählen, und ob sie Reformen wollen. Um das Heranwachsen kultivierter Generationen zu ermöglichen, sollten Muslime ihre Probleme lösen. Nicht nur beim Thema Terror, den Gott ganz gewiss verurteilt, sondern auch bei Drogen und Zigaretten, die Gott ebenfalls verbietet. Auch Streit und Zwietracht sollten auf dem Index stehen.
Weitere Verfehlungen sind: sich zu handgreiflichen Auseinandersetzungen hinreißen lassen, die Armut nicht zu bekämpfen, sich von anderen zur Verachtung anleiten zu lassen und ständig beleidigt zu sein.
Wie [Mehmet] Akif [Ersoy] sagte: Sklaverei, Unannehmlichkeiten aller Art, Süchte, die Akzeptanz von Dingen aus reiner Gewohnheit und Hohn und Spott sind allgegenwärtig. Sie sind Bannflüche Gottes, mit denen Gott vor allem unsere Nation belegt hat. Sie überwinden kann meiner Ansicht nach nur ein gerechter Mensch, d.h., ein Mensch Gottes.
Diese Menschen, die den Terror unterstützen, sind vor unseren Augen in muslimischen Familien aufgewachsen. Wir dachten, sie seien Muslime. Welchen Prozess haben sie durchlaufen, dass sie schließlich Terroristen geworden sind? Trifft uns nicht eine Mitschuld?
Unsere Schuld ist die Schuld eines ganzen Volkes. Sie ist die Schuld der [mangelnden] Bildung. Ein wahrer Muslim, der den Islam in all seinen Aspekten versteht, kann kein Terrorist sein. Jemand, der sich an terroristischen Aktivitäten beteiligt hat, kann kaum ein Muslim bleiben. Die Religion billigt es nicht, einen Menschen zu töten, um ein Ziel zu erreichen.
Aber natürlich stellt sich die Frage: Welche Bemühungen haben wir unternommen, um sie auf vollkommene Art und Weise großzuziehen? An welche Art von Elementen haben wir sie gebunden? Mit welcher Art von Verantwortung haben wir sie erzogen, dass wir nun von ihnen erwarten, sich nicht an terroristischen Aktivitäten zu beteiligen?
Wenn die Bindung an islamische Werte, Gottesfurcht und das Versprechen eines Lebens nach dem Tode oder das sichere Wissen, religiöse Gebote zu verletzen, nicht ausreichen, um sie von terroristischen Aktivitäten abzubringen, dann haben wir offenbar nicht das nötige Feingefühl aufgebracht. Auch jetzt gibt es einige Strategien, mit diesem Thema umzugehen. Wir bemühen uns, sie zu stoppen [ihr Leben dem Terror zu widmen].
Wir sagen, es darf nicht sein. D.h., es darf keine Frage von Kultur und Moral sein. [Die Neigung zu einem Leben als Terrorist] sollte in den Bildungsinstitutionen ausgelöscht werden. In den Schulen sollte wirklich alles, was im Leben benötigt wird, vermittelt werden. Auch Informationen zur Gesundheit sollten erteilt werden. Ein solcher Unterricht zu den Themen Leben und Alltag sollte am besten Ärzten von erteilt werden.
Auch die Beziehungen zwischen den Ehepartnern sollten auf dem Lehrplan stehen, genau wie die Kindeserziehung. Aber damit ist es noch lange nicht getan. Die Türkei und die islamische Welt haben ein Drogenproblem. Die islamische Welt leidet unter Spielsucht und Unterschlagung. In der Türkei ist fast jeder ein Dieb. Auf einige Orte, die erreicht werden sollten, konnte eingewirkt werden. Mit anderen Menschen hingegen kann man unmöglich in Verbindung treten. Sie lassen es nicht zu, dass man ihnen Fragen stellt. Man kann sie nicht zur Verantwortung ziehen. Sie halten sich im Verborgenen und sind ganz sich selbst überlassen.
Sie alle sind unter uns aufgewachsen. Sie alle sind unsere Kinder. Wie konnte es passieren, dass einige von ihnen gewalttätig geworden sind? Wie konnte es passieren, dass einige von ihnen Raufbolde wurden? Wie konnte es passieren, dass einige von ihnen gegen die menschlichen Werte rebellieren? Wie konnte es passieren, dass sich einige von ihnen in ihrem eigenen Volk als Bomben in die Luft gesprengt haben?
All diese Menschen sind unter uns aufgewachsen. D.h., bei ihrer Erziehung muss etwas schief gelaufen sein. Das System hat einige Schwächen, weist einige Punkte auf, die hinterfragt und verbessert werden müssen. Die Erziehung zum Menschen genoss wohl keine Priorität. Inzwischen sind einige Generationen verloren, zerstört und vergeudet worden.
Den unzufriedenen Jugendlichen kam die Spiritualität abhanden. Man gab ihnen einige Liras oder machte sie zu Robotern. Man setzte sie unter Drogen. Heute wird dies thematisiert. In den Zeitschriften wird darüber geschrieben. Man nahm ihnen die Fähigkeit, ihren Verstand zu gebrauchen. Unter Vortäuschung von Idealen und Zielen missbrauchte man sie als Mörder und ließ sie Menschen umbringen. Man wollte mit ihrer Hilfe bestimmte Ziele erreichen.
Ein Freund von mir, ein sehr kluger Mensch, war einmal in Israel wo er seine Doktorarbeit schrieb. Eine Zeitlang lebte er in Palästina. Er hat mir von einer sehr interessanten Begebenheit erzählt: „Ich hielt mich ich fünf oder sechs Monate in Israel auf. Dort bot man mir an, in einem Exekutivausschuss einer Friedensorganisation mitzuarbeiten. Das Angebot stammte von den Israelis. Aber ein Palästinenser hielt mich davon ab. Ich begriff, dass dieser Mann ein Waffenhändler war. Er betrieb einige Geschäfte und wollte sie auch in Zukunft betreiben. Möglicherweise verfolgen auch andere unzugängliche Kreise dasselbe Ziel." Einigen geht es also darum, Geld damit zu verdienen, dass sie solche Vorfälle schüren.
Die Menschen werden in Roboter verwandelt. Und meiner Meinung nach geschah dies auch in Istanbul. Den Tätern, die terroristische Anschläge verüben, fehlt es an religiösem Bewusstsein und regelmäßigen Kontakten zu Moscheen.
Solche Menschen besitzen ein nur unzureichendes Wissen über die Religion. Sie müssen einen Meister oder Hodscha haben, der ihnen sagt: „Dieser oder jener sollte vielleicht besser getötet werden." In der Türkei wurden viele Menschen getötet. Die eine Gruppe hat diesen umgebracht, die andere jenen. Am 12. März waren alle in einem blutigen Kampf vereint. Das Militär rückte aus und intervenierte. Am 12. September gingen die Menschen auf die Straße und waren auf Blutvergießen aus. Man tötete sich gegenseitig.
Indem sie einander töteten, versuchten einige von ihnen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Terroristen waren sie alle - die eine wie auch die andere Seite. Aber sie gaben sich ein Etikett: Der eine sagte: „Ich tue dies im Namen des Islam." Der andere sagte: „Ich tue dies für mein Land und mein Volk." Wieder ein anderer behauptete: „Ich kämpfe gegen Kapitalismus und Ausbeutung." Doch das waren nichts als Sprüche. Auch im Koran ist von Sprüchen die Rede. Sie werden dort als Muster ohne Wert bezeichnet. Aber die Leute töteten weiter. Jeder tötete im Namen eines Ideals.
Im Namen solcher ""Ideale"" fanden viele Menschen den Tod. Jemand an der Spitze forderte: „Beseitigt jenen dort!", und so geschah es. ""Beseitigt ihn!"" - auch das war einer jener Sprüche. Möglicherweise gab es auch Anweisungen für Sie und für mich. Aber das Schicksal ließ es nicht zu. Es gab da etwas, was mir ganz klar sagte: „Auch er sollte beseitigt werden."
Alles versank im Terror. Nicht nur Muslime, sondern alle Menschen taten das Gleiche. Da jeder mitmachte, wurde das Töten salonfähig. Es wurde zu etwas, an das man sich gewöhnte. Einen Menschen zu töten ist schlimm. Einer meiner engsten Freunde brach einmal einer Schlange das Rückgrat. Er war Theologiestudent und ist heute Prediger. Ich habe einen Monat lang nicht mit ihm gesprochen. Ich fragte ihn: „Die Schlange hat das Recht, in der Natur zu leben. Welches Recht hattest du, ihr das Rückgrat zu brechen?"
Die Lage entwickelte sich so, dass wir, wenn wir hören, dass irgendwo in der Welt 10 oder 20 Menschen getötet wurden und diese Zahl nicht so hoch wie erwartet ausgefallen ist, sagen: „Zum Glück sind nicht viele Menschen gestorben." Diese Gewalt wird zunehmend akzeptiert. „Gut, dass wir durch den Tod von 20 oder 30 Menschen selbst mit dem Leben davon gekommen sind.", sagen wir. Das heißt, sie haben erreicht, dass die Gesellschaft dies akzeptiert.
Die Bildung kann solche Zustände verhindern. Auch die Regeln und Grundsätze des Staates können zur Prävention beitragen. Einige gesellschaftliche Kreise beginnen nun zu reagieren und sind gewillt, schon bei geringsten Anlässen einzuschreiten. Sie machen aus Mücken Elefanten. Auf Grund ihrer Machtposition lässt sich dies aber nicht ändern.
Sie übertreiben. Aber es gibt ein Heilmittel für diese Dinge. Es besteht darin, das Richtige zu lehren. Es muss ganz deutlich gesagt werden, dass Muslime keine Terroristen sein können. Warum das so deutlich gesagt werden muss? Wenn man eine Sünde begeht, und sei sie auch so klein wie ein Atom, wird man dafür bezahlen müssen. (Zur Untermauerung dieser These zitiert er die Koranverse 99:7-8)
Ja, das Töten eines Menschen ist eine schwer wiegende Angelegenheit. Der Koran sagt, dass das Töten eines Menschen dem Töten der ganzen Menschheit gleichzusetzen ist. Ibn Abbas sagte, dass ein Mörder für alle Ewigkeit in der Hölle bleiben wird. Das gilt auch für Ungläubige. Derjenige, der einen Menschen tötet, teilt also das Schicksal eines Ungläubigen. Dies bedeutet, dass der Mörder eines Menschen einem Atheisten und jemandem, der Gott und den Propheten nicht akzeptiert, gleichgestellt wird. Und wenn dies das Grundprinzip der Religion ist, dann sollte es durch die Erziehung vermittelt werden. Aber das geschieht nicht.
Nach dem 11. September konnte man beobachten, dass Muslime dazu neigen, Theorien ein wenig zu komplizieren. Sind es wirklich immer die ,Anderen', die Schuld haben? Ist es denn tatsächlich so, dass diese ""Anderen"" immer wollen, dass wir ,unsympathisch' erscheinen? Warum gibt es im Islam keine Kultur der Selbstkritik?
An dieser Stelle muss ich widersprechen. Der Satz „Es gibt im Islam keine Kultur der Selbstkritik" ist falsch. Es gibt sehr wohl Selbstkritik im Islam. Muslime hinterfragen alles mit Ausnahme der heiligen Botschaften.
Ich glaube auch nicht, dass andere über eine solche Selbstkritik verfügen. Der Kalif Umar beispielsweise repräsentiert den Islam. Während er am Minbar [auf der Kanzel] eine Rede hält, bringt eine Frau einen Einwand vor: „Was du sagst, ist falsch. So muss es heißen..."
Ein anderes Beispiel: Ein Kommandant in der Armee gibt an, das und das getan zu haben. Ein unbekannter Soldat widerspricht auf sein Schwert gelehnt: „Mein Kommandant, was Sie da sagen, ist aufrührerisch. Wenn Sie nicht rechtmäßig handeln, werden wir Ihnen das und das antun."
Gelehrte und Theologen haben islamische Themen so oft diskutiert und debattiert, dass diese Diskussionen unzählige Bücher füllen. Jeder von ihnen hat den anderen in islamischen Angelegenheiten kritisiert. Diese Kritik stieß auf ein gehöriges Maß an Toleranz. Ghazali z.B. verfasste einen Tahafut [eine Kritik an den Verirrungen der Philosophen]. Daraufhin wurden ihm von jemand anderem Einwände gemacht. Hätte es damals einen islamischen Staat gegeben, wären diese Menschen bestraft worden. So aber sagte niemand etwas. Der Mann lebte weiter. Es gib viele unterschiedliche Gedanken. "
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