Was bedeutet eigentlich Dschihad und was versteht man unter kleinerem und größerem Dschihad?

Dschihad ist ein arabisches Wort, das ursprünglich mit ‚sich bemühen', oder ‚Anstrengungen unternehmen, um Not und Entbehrungen zu bewältigen' übersetzt wurde. Mit dem Islam erlangte es die Bedeutung ‚sich auf dem Wege Gottes bemühen'.

Der Dschihad stellt für den Gläubigen eine besondere Pflicht dar. Gerade weil er so wichtig ist, werden im Koran die Begriffe ‚Dschihad' und ‚Islam' praktisch gleichgesetzt. Die hervorragendsten Diener Gottes von der Zeit des Propheten Adam an haben sich, ob sie nun Propheten oder rechtschaffene Menschen waren, ihren ausgezeichneten Rang durch ihren Dschihad verdient, der sowohl den Ungläubigen als auch ihren eigenen sinnlichen Seelen galt.

Der Dschihad hat vor Gott einen hohen Stellenwert; denn Gott hat den Menschen erschaffen, damit dieser sich bemüht, sein wahres Wesen zu finden, und auch andere ermutigt, seinem Beispiel zu folgen.

Gott legt im Koran fest:

Diejenigen von den Gläubigen, die daheim blieben - ausgenommen die Gebrechlichen -, und die, welche für Allahs Sache ihr Gut und Blut im Kampf einsetzen, sind nicht gleich. Allah hat die mit ihrem Gut und Blut Kämpfenden über die, die daheim blieben, im Rang um eine Stufe erhöht. Jeden von beiden aber hat Allah Gutes verheißen; doch die Kämpfenden hat Allah vor den Daheimbleibenden durch großen Lohn ausgezeichnet. (4:95)

Die Menschen gehen in der Welt verschiedenen Berufen nach, sie sind z.B. Friseur, Zimmermann, Schneider, usw.. Jeder Mensch verfolgt in seinem Beruf das ein oder andere Ziel, das seine Position verbessert. Doch was das Ende des Menschen betrifft, so gilt, dass es nicht entscheidend ist, welchen Beruf und welche gesellschaftliche Stellung er gehabt haben mag: Wurde nicht jeder Mensch aus einem Tropfen Flüssigkeit erschaffen, und wird nicht jeder Mensch als verwesende Leiche enden? Einzig und allein das Amt des Propheten bildet hier eine Ausnahme. Denn während die Arbeit aller anderen Menschen nach deren Tod keine weiteren Früchte mehr tragen kann, vervielfacht sich der Lohn für die Prophetenschaft bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Die Prophetenschaft birgt eine gewisse spirituelle Qualität in sich, die von der Sterblichkeit unberührt bleibt. Das Ziel eines Propheten liegt darin, den Menschen die Möglichkeit zu geben, Gott kennen zu lernen. Und jeder, der Gott einmal kennen gelernt hat, wird auch in der Lage sein, die Ewigkeit zu erlangen. Der Mensch wurde nicht mit dem Ziel erschaffen, zusammen mit allem anderen in der Welt physischem Verfall und Auflösung ausgesetzt zu sein. Seine tiefste natürliche Neigung gilt in Wirklichkeit der Ewigkeit. Die Propheten sind es, die die Menschen warnen und erziehen und sie dazu bringen, sich dieser Neigung bewusst zu werden.

Aus der Sicht Gottes ist das Amt des Propheten die gnadenreichste Arbeit, die einem Menschen anvertraut werden kann, und der Dschihad bringt diesen Aspekt zum Ausdruck. Weil der Dschihad so wichtig ist, rühmt der Koran die Gemeinschaft der Gläubigen, die dem Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, die Treue geschworen hat, besonders dafür, dass sie den Dschihad durchführt:

Wahrlich, diejenigen, die dir huldigen - sie huldigen in der Tat nur Allah; die Hand Allahs ist über ihren Händen. Und wer daher den Eid bricht, bricht ihn zu seinem eigenen Schaden; dem aber, der das hält, wozu er sich Allah gegenüber verpflichtet hat, wird Er gewaltigen Lohn geben. (48:10)

Dieser Vers wurde zu folgendem Anlass offenbart:

Der Gesandte Gottes hatte den Muslimen die gute Nachricht überbracht, dass es ihnen gelingen werde, an den Ort, aus dem sie einst vertrieben worden waren (viele waren auch in Mekka geboren), zurückzukehren und die Riten der Pilgerfahrt auszuführen. Deshalb waren sie als Pilger nach Mekka aufgebrochen und hegten entsprechende Hoffnungen. Als sie aber Hudaibiya erreichten, gestatteten es ihnen die Polytheisten nicht, den tawaf (das Umkreisen der Ka'ba) durchzuführen, und drohten ihnen stattdessen mit Krieg. Das unerwartete Veto schockte die Gläubigen, die dies als einen schweren Schlag gegen die Ehre des Islam auffassten. Sie wurden ungeduldig und waren so aufgewühlt, dass niemand wusste, was zu tun war. Der Gesandte Gottes beauftragte Uthman ibn Affan, nach Mekka zu reisen, um nochmals zu beteuern, dass ihr Besuch keinerlei böse Absichten habe. Anstatt seine Gesandtschaft willkommen zu heißen, sperrten die Stadtoberen von Mekka Uthman ein und streuten sogar das Gerücht, er sei ermordet worden. Diese Nachricht erregte den Zorn der Muslime. Der Zeitpunkt war gekommen, an dem der Prophet die Gläubigen aufforderte, ihm den Treueschwur zu leisten. Sie taten dies, indem sie seine Hand ergriffen. Daraufhin offenbarte Gott den oben zitierten Vers.

Ein weiterer Vers lautet:

Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihr Gut für das Paradies erkauft: Sie kämpfen für Allahs Sache, sie töten und werden getötet; eine Verheißung - bindend für Ihn - in der Thora und im Evangelium und im Koran. Und wer hält seine Verpflichtung getreuer als Allah? So freut euch eures Handels, den ihr mit Ihm abgeschlossen habt; denn dies ist wahrlich die große Glückseligkeit. (9:111)

Dieser Handel, wie ihn der Koran nennt, ist die höchste Auszeichnung, weil jeder, der ihn abschließt, von Gott direkt angesprochen wird.

Der Gesandte Gottes sagte: Ich wünschte mir, ich wäre für die Sache Allahs umgebracht und erneut zum Leben erweckt worden, um erneut umgebracht und zum Leben erweckt zu werden, um nochmals umgebracht zu werden.[1] Der Prophet hat diesen Wunsch in der Tat nur deshalb nicht noch viele weitere Male geäußert, weil er unnötige Wiederholungen vermeiden wollte. Ein anderer seiner Aussprüche lautet wie folgt: Es ist besser, die Augen für die Pflichten eines Tages offen zu halten, und zwar einzig und allein für die Sache Allahs und gegen die Gefahr der Unterwanderung des Feindes auf einem schmalen Weg, als die ganze Welt und alles, was zu ihr gehört, zu besitzen.[2] Aus diesem Hadith können wir schließen, dass es verdienstvoller ist, einen Tag lang für die Sache Gottes und gegenüber allen Gefahren, die die Gemeinschaft befallen könnten, wachsam zu sein, als die Ka'ba zu besitzen - denn die Ka'ba ist ja Teil dieser Welt.

Ein weiterer Hadith zu diesem Thema teilt uns Folgendes mit: Der Lohn Allahs für die guten Taten eines Menschen wird eingestellt, sobald der Mensch stirbt; eine Ausnahme stellt der Dschihad dar. Der Lohn für den Dschihad vervielfältigt sich bis zum Tag des Gerichts. Darüber hinaus befreit Allah denjenigen, der sich auf Seinem Weg bemüht hat, von der Befragung im Grab.[3]

Der Dschihad hat zwei Seiten. Der größere Dschihad bezeichnet den Kampf gegen fleischliche Gelüste und schlechte Neigungen, der kleinere Dschihad die Ermutigung anderer, das gleiche Ziel zu erreichen.

Als sich die muslimische Armee nach einem Sieg über den Feind in einer Schlacht auf dem Rückweg nach Medina befand, sagte der Gesandte Gottes: Wir kehren vom kleineren zum größeren Dschihad zurück. Als die Gefährten fragten, was der größere Dschihad denn sei, erklärte er, es handle sich dabei um den Kampf gegen die sinnliche Seele.[4]

Ziel eines jeden größeren oder kleineren Dschihads ist, den Gläubigen von allen Sünden zu reinigen und ihn so zur wahren Menschlichkeit zu führen. Zu diesem Zweck wurden die Propheten gesandt. Gott sagt im Koran:

Sowie Wir unter euch einen Gesandten aus eurer Mitte erstehen ließen, der euch Unsere Verse verliest und euch läutert und euch das Buch und die Weisheit lehrt und euch lehrt, was ihr noch nicht wusstet. (2:151)

Menschen sind in gewissem Sinne wie Rohstoffe, die die Propheten bearbeiteten, reinigten und verfeinerten, indem sie das Siegel von ihren Herzen und Ohren entfernten und die Schleier vor ihren Augen hoben. Durch die Botschaft der Propheten aufgeklärte Menschen sind in der Lage, die Bedeutung der Naturgesetze, die Zeichen der Existenz und der Einheit Gottes sind, zu verstehen und in die komplizierte Realität, die den Dingen und Ereignissen innewohnt, einzudringen. Nur durch die Rechtleitung der Propheten kann die Menschheit den hohen Rang erklimmen, den Gott für sie vorgesehen hat.

Die Propheten haben die Menschen nicht nur auf die Zeichen hingewiesen, sondern sie auch in der Offenbarungsschrift und in der Weisheit unterwiesen. Da der Koran die letzte Offenbarung an den letzten Propheten ist, meint Gott den Koran, wenn Er vom Buch, und die Sunna, wenn Er von der Weisheit spricht. Wenn wir Rechtleitung wünschen, müssen wir also dem Koran und der Sunna des Propheten Muhammad folgen.

Der Prophet lehrt uns auch das, was wir nicht wissen, und die Menschheit wird auch weiterhin vom Propheten lernen -bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Von ihm erfahren wir, wie wir uns von unseren Sünden reinigen können. Viele große rechtschaffene Menschen verdanken ihre hohe Stellung als rechtschaffene Menschen der Tatsache, dass sie seinem Weg gefolgt sind. Einer von ihnen, Ali, sagt, sein Glaube an die Säulen des Islam sei so fest, dass seine Überzeugung selbst dann nicht größer werden könnte, wenn der Schleier des Unsichtbaren gelüftet würde.[5] Von Abdulqadir al-Dschilani wird behauptet, er habe Einblick in die Mysterien des siebten Himmels gehabt. Sie und viele andere wie Fudail ibn Iyaz, Ibrahim ibn Adham und Bischr al-Khafi hätten durchaus mit der Prophetenschaft betraut werden können, wenn Gott nicht schon ein Siegel auf das Prophetentum gelegt hätte.

Die dunklen Wolken der Unwissenheit wurden durch die Rechtleitung des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, vom intellektuellen Horizont des Menschen vertrieben, und viele Fortschritte, die in der Zukunft in Wissenschaft und Technik noch gemacht werden, werden auf das Licht zurückgehen, das er uns von Gott überbracht hat.

Der Dschihad ist das Vermächtnis der Propheten, und die Prophetenschaft hat die Aufgabe, die Menschen dadurch in den Rang der Begünstigten Gottes zu erheben, dass sie sie läutert. ‚Dschihad' lautet der Titel, der der Mission des Propheten gegeben wurde; er bedeutet soviel wie ‚Bezeugen der Wahrheit'. So wie Richter Zeugen anhören, um vor Gericht über einen Fall zu entscheiden, legen jene, die den Dschihad verrichten, Zeugnis von der Existenz und der Einheit Gottes ab, indem sie sich auf Seinem Weg bemühen. Der Koran sagt:

Bezeugt hat Allah, dass kein Gott da ist außer Ihm Selbst; und die Engel und die Wissenden (bezeugen es). Er sorgt für die Gerechtigkeit. Es ist kein Gott außer Ihm, dem Allmächtigen, dem Weisen. (3:18)

Diejenigen, die den Dschihad verrichtet haben, werden vor dem Gericht des Himmels, an dem die Fälle der Ungläubigen behandelt werden, die gleiche Wahrheit bezeugen.

Gott legt von Seiner eigenen Existenz und Einheit Zeugnis ab, und all jene, deren Wahrnehmungsvermögen ausreichend geschärft ist, werden die Korrektheit dieses Zeugnisses erkennen. Die Engel, deren Wesen absolut rein ist, begreifen diese unleugbare Wahrheit ebenso wie jene, die mit Wissen ausgestattet sind und die dritte Gruppe der Zeugen bilden. Selbst wenn alle anderen die Existenz und die Einheit Gottes leugnen würden, würde die Aussage der drei Gruppen genügen, um diese Wahrheit zu beweisen.

Diejenigen, die die Existenz und die Einheit Gottes bezeugen, sollten bis in die entlegensten Gebiete der Welt reisen und diese Wahrheit verkünden. Darin bestand die Aufgabe der Propheten, wie im Koran berichtet wird, und dies sollte auch unsere Aufgabe sein:

(Es sind) Gesandte, Überbringer froher Botschaften und Warner, sodass die Menschen nach den Gesandten keinen Beweisgrund gegen Allah haben. Und Allah ist Allmächtig, Weise. Doch Allah bezeugt durch das, was Er zu dir herabgesandt hat, dass Er es mit Seinem Wissen sandte; und die Engel bezeugen es; und Allah genügt als Zeuge. (4:165-166)

Gott hat aus jedem Volk einen Mann erwählt und ihn zum Propheten ernannt. Von der Zeit des Propheten Adam an wurde jedes finstere Zeitalter in der Menschheitsgeschichte durch die Botschaft eines Propheten erleuchtet - bis hin zur Zeit Muhammads, der gesandt wurde, um die intellektuellen und spirituellen Horizonte der ganzen Menschheit zu erhellen. Der Koran sagt:

Wahrlich, Wir haben Dich als Zeugen und als Bringer froher Botschaft und als Warner gesandt. (48:8)

Der Prophet Muhammad, Friede sei mit ihm, wird im Koran als der Prophet (an-nabi) bezeichnet. Die Verwendung des bestimmten Artikels hebt ihn gegenüber den anderen Propheten hervor und weist darauf hin, dass er der höchste aller Propheten ist. Er wurde der gesamten Schöpfung, zu der auch die Tiere, Pflanzen und unbelebten Dinge gehören, als eine Gnade gesandt.

In vielen Koranversen wie z.B. auch im oben zitierten wendet sich Gott mit den Worten Wir haben Dich...gesandt. direkt an den Propheten Muhammad. Dies beweist, dass er der Prophet ist, der von Gott gesandt wurde, um von Seiner Existenz und Seiner Einheit Zeugnis abzulegen. Er erfüllte seine Mission in einer Zeit der Unwissenheit, als fast alle Menschen dies leugneten. Später stieg die Zahl seiner Anhänger, die schließlich in aller Welt zu den Fahnenträgern dieser Wahrheit wurden.

Der Prophet Muhammad überbrachte denjenigen, die Gutes tun, die gute Nachricht von der Glückseligkeit in beiden Welten und warnte diejenigen, die sündigen. Auf diese Weise erfüllte er die Pflicht, die im Koran Dschihad genannt wird.

Es hat kein Volk gegeben, zu dem Gott nicht einen Propheten gesandt hätte, sodass jedes Volk irgendeine Vorstellung vom Prophetentum hat. Allen Gläubigen hat sich der Begriff Dschihad zur Beschreibung des Handelns eines Propheten tief im Herzen eingeprägt. Daher spüren sie eine große Verantwortung für die Verkündung der Wahrheit, mit der sie andere auf den Geraden Weg führen sollen.

Der kleinere Dschihad, der gewöhnlich als Kampf auf dem Wege Gottes verstanden wird, bezieht sich nicht nur auf den Kampf auf dem Schlachtfeld. Der Ausdruck ist weiter gefasst. Er beinhaltet jede Handlung vom Sprechen bis hin zur Anwesenheit auf dem Schlachtfeld, vorausgesetzt, diese Handlung wird um der Sache Gottes willen getätigt. Ob man spricht oder schweigt, lächelt oder ein griesgrämiges Gesicht macht, sich an einem Treffen beteiligt oder diesem fernbleibt - jede Handlung, die von Individuen oder Gemeinschaften getätigt wird, um das Los der Menschheit zu verbessern, wird als kleiner Dschihad betrachtet.

Während der kleinere Dschihad auf der Mobilisierung aller materiellen Ressourcen basiert und in der äußeren Welt praktiziert wird, bezeichnet der größere Dschihad den Kampf des Menschen gegen seine sinnliche Seele. Diese beiden Formen des Dschihad können nicht voneinander getrennt werden. Nur wer über seine sinnliche Seelen triumphiert, kann sich dem kleineren Dschihad widmen, der den Menschen seinerseits im größeren Dschihad unterstützt.

Der Gesandte Gottes hat uns gelehrt, wie die beiden Dschihad-Formen zu praktizieren sind. Er hat die Prinzipien der Verkündung der Wahrheit etabliert, die ihre Gültigkeit bis zum Tag des Jüngsten Gerichtes behalten werden. Wenn wir die Art und Weise seines Handelns einer genauen Prüfung unterziehen, werden wir feststellen, dass er äußerst systematisch vorgegangen ist. Auch sie unterstreicht seine Prophetenschaft und ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie man in seinem Auftreten dem Weg Gottes folgt.

In den ersten Jahren seiner Prophetenschaft pflegte der Gesandte Gottes seine Gebete in der Ka'ba zu verrichten. Damit wollte er nicht nur seinen Lohn bei Gott steigern, sondern er verfolgte noch ganz andere Ziele. Vor allem wollte er den Jugendlichen die Wahrheit verkünden; doch auf Grund ihrer Überheblichkeit konnte er sich ihnen nicht nähern. Sie hätten ihm wohl keinen Respekt entgegengebracht. Da er wusste, dass Handlungen mehr aussagen als 1000 Worte, begann er in der Ka'ba zu beten. Die Neugier der Jugendlichen wuchs, und schließlich kamen sie zu ihm und fragten ihn, was er denn da tue. Dies gab dem Gesandten Gottes die Gelegenheit, zu ihnen zu sprechen.

Wiederholt wurde der Prophet Muhammad, während er betete, angegriffen. Einmal wollte Abu Dschahl den Propheten mit einem großen Stein erschlagen, während dieser sich im Gebet zu Boden warf. Abu Dschahl hatte den Stein bereits aufgehoben und war bereit, ihn auf den Propheten zu werfen, als er plötzlich zu zittern begann und bleich vor Angst wurde, während seine Hände bewegungslos über seinem Kopf verharrten. Als er später gefragt wurde, was denn passiert sei, antwortete er, dass ein schreckliches Ungeheuer zwischen ihn und den Propheten getreten sei und ihn beinahe verschluckt habe.[6]

Als der Prophet bei anderer Gelegenheit betete, schlang ihm Uqba ibn Abi Mu'ait seinen Turban um den Hals und versuchte, ihn zu erdrosseln. Als Abu Bakr davon hörte, eilte er zum Ort des Geschehens, um den Propheten zu retten und brüllte: „Würdest du etwa einen Mann umbringen, nur weil er sagt: ‚Mein Herr ist Gott?'"[7] Dies war ein Echo auf die (im Koran aufgezeichneten) Worte Gottes, die zu Lebzeiten des Propheten Moses von einem Gläubigen ausgesprochen wurden, der sich beeilt hatte, Moses vor denen zu retten, die ihn töten wollten.

Der Prophet Muhammad, Friede sei mit ihm, wäre wohl einem jener Angriffe zum Opfer gefallen, wenn Gott nicht seine schützende Hand über ihn gehalten hätte. Der Gesandte demonstrierte in aller Öffentlichkeit die Notwendigkeit, die Wahrheit zu verkünden, selbst wenn er dabei sein Leben riskierte. Abu Bakr hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, am Fenster seines Hauses mit lauter Stimme den Koran zu rezitieren. Diejenigen, die ihn hörten, begannen daraufhin, sich um ihn herum zu versammeln. Seine Darbietung lockte so viele Menschen an, dass die Führer Mekkas ihn schließlich davor warnten, mit der Rezitation fortzufahren. Ibn Daghinna, der ihn bis dahin vor den Feindseligkeiten der mekkanischen Ungläubigen bewahrt hatte, konnte ihm nicht länger Schutz bieten. Abu Bakr aber war dennoch fest entschlossen, seine Rezitationen fortzusetzen.[8] Ob durch ihre Worte oder durch ihr Handeln - die Gefährten verzichteten niemals darauf, den Dschihad zu praktizieren. Denn sie waren fest davon überzeugt, dass die einzelnen Muslime und die muslimische Gesellschaft auf ihren Dschihad angewiesen waren. Darüber hinaus begriffen sie, dass ein Muslim nur dann den Schutz Gottes genießt, wenn er, wie auch der Koran betont, Seine Religion unterstützt: O ihr, die ihr glaubt, wenn ihr Allahs (Sache) helft, so wird Er euch helfen und euren Füßen festen Halt geben. (47:7)

Wer in den Genuss des Beistands und des Schutzes Gottes kommen möchte, sollte Seine Religion mit großem Einsatz unterstützen. Wer sich davor schützen möchte, vom Weg abzukommen, muss sein Leben darauf ausrichten, sich um der Sache Gottes willen zu bemühen. All seine Handlungen, einschließlich der geringfügigsten - essen, schlafen, einen Beruf wählen und sich dafür ausbilden lassen usw. - sollten diesem Ziel dienen.

Um besser verstehen zu können, wie uns dies gelingen kann, wollen wir uns in Erinnerung rufen, wie sich der Prophet und seine Gefährten verhielten:

Die Lebensbedingungen wurden so schwierig, dass es einigen Gläubigen gestattet wurde, nach Abessinien auszuwandern. Diese Auswanderung war eine Form des Dschihads, der zu jener Zeit praktiziert werden musste. Nachdem weitere Gläubige nach Abessinien ausgewandert waren, emigrierten alle, die in Mekka geblieben oder nach Mekka zurückgekehrt waren, nach Medina. Der Dschihad hatte also eine andere Form angenommen.

Der Grundstein des islamischen Stadtstaates war gelegt und erneut veränderte sich die Form des Dschihads. Natürlich musste man den Gegebenheiten entsprechend handeln: Manchmal war es angebracht zu rennen, manchmal ging man lieber langsam. Daher musste auch die Durchführung des Dschihads eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Zwar waren die Gläubigen unaufhörlich schikaniert und gepeinigt worden, doch hatten sie nur passiven Widerstand geleistet, den sie aufrecht erhielten, bis ihnen in Medina folgender Vers offenbart wurde, der ihnen erlaubte, Vergeltung für die Übergriffe der Ungläubigen zu üben:

Die Erlaubnis, (sich zu verteidigen,) ist denen gegeben, die bekämpft werden, weil ihnen Unrecht geschah - und Allah hat wahrlich die Macht, ihnen zu helfen -, jenen, die schuldlos aus ihren Häusern vertrieben wurden, nur weil sie sagten: „Unser Herr ist Allah." Und wenn Allah nicht die einen Menschen durch die anderen zurückgehalten hätte, so wären gewiss Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen der Name Allahs des Öfteren genannt wird, niedergerissen worden. Und Allah wird gewiss dem zum Sieg verhelfen, der für Seinen Sieg eintritt. Allah ist wahrlich Allmächtig, Erhaben. (22:39-40)

Nachdem die Gläubigen jahrelang alle möglichen Arten von Verfolgung hatten ertragen müssen, reagierten sie auf diese Verfügung mit Begeisterung. Ihre Pflicht war es nun, das Schwert zu ergreifen; und es gab niemanden, der sich verweigert hätte, als die Aufforderung erging, gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Nur die Heuchler, also jene, die unfähig sind, sich von Sünden zu reinigen und so die Aufrichtigkeit des Glaubens zu erlangen, vermochten es nicht, auf den Befehl zur Ausführung des Dschihad zu reagieren. Sie bildeten eine verabscheuungswürdige Gruppe von Unruhestiftern, die entweder faul in ihren Häusern saßen oder von den Schlachtfeldern flohen. Sie waren die Sklaven ihrer sinnlichen Seelen und hingen übermäßig an gewissen niederen Begierden. Im Gegensatz dazu eilten diejenigen, die aufrichtig an Gott und Seinen Gesandten glaubten, auf die Schlachtfelder, wann immer sie dazu aufgerufen wurden zu kämpfen. Da für sie Dschihad das Mittel war, Gott und die Ewigkeit zu erreichen, waren sie so begeistert, als ob sie in den Himmel eingeladen worden wären.

Jeder Mensch betrachtet den Tod als etwas Schlimmes, was bis zu einem gewissen Maße auch für einige Gefährten des Propheten galt. Der Koran aber sagt:

Zu kämpfen ist euch vorgeschrieben, auch wenn es euch widerwärtig ist. Doch es mag sein, dass euch etwas widerwärtig ist, was gut für euch ist, und es mag sein, dass euch etwas lieb ist, was übel für euch ist. Und Allah weiß es, doch ihr wisst es nicht. (2:216)

Die hier angesprochene Abneigung ist eine ganz natürliche Charaktereigenschaft des Menschen. Trotzdem haben die Gläubigen Gott und Seinem Gesandten niemals den Gehorsam verweigert, wofür ihnen Gott im Gegenzug Erfolge und Siege gewährte. Diese Triumphe spendeten den Gläubigen neue Kraft und Energie, und weil sie auch bei den Nachbarstämmen Aufsehen erregten, beunruhigten sie die Ungläubigen.

Der Dschihad hilft den Gläubigen dabei, sich die Leidenschaft und die Vitalität ihres Glaubens zu bewahren. So wie ein Baum seine Blätter behält, so lange er Früchte hervorbringt, verliert ein Gläubiger seine Kraft und Energie nicht, so lange er den Dschihad praktiziert. Immer dann, wenn man einen hoffnungslosen Pessimisten trifft, wird man sehr schnell feststellen, dass er den Dschihad aufgegeben hat. Solche Menschen haben ihren Geist eingebüßt und sind in Pessimismus versunken, weil sie nicht länger die Wahrheit verkünden. Wer stets den Dschihad praktiziert, wird seinen Enthusiasmus nie verlieren und sich immer bemühen, den Radius seiner Aktivitäten zu erweitern. Jede gute Tat mündet in eine weitere, sodass gläubigen Menschen das Gute niemals vorenthalten wird: Und diejenigen, die in Unserer Sache wetteifern - Wir werden sie gewiss auf Unseren Wegen leiten. Wahrlich, Allah ist mit denen, die Gutes tun. (29:69)

Es führen so viele Wege zum Geraden Weg, wie es Atemzüge in der Schöpfung (inklusive der Atemzüge der Menschheit) gibt. Jeden, der sich um der Sache Gottes willen bemüht, wird Er auf einen dieser Wege führen und davor bewahren, in die Irre zu gehen. Und jeder, der von Gott auf Seinen Geraden Weg geführt wurde, führt ein ausgeglichenes Leben und überschreitet keine Grenzen - weder in Hinblick auf menschliche Bedürfnisse und Aktivitäten noch in Hinblick auf Anbetung oder sonstige religiöse Pflichten. Diese Ausgeglichenheit ist ein Zeichen wahrer Rechtleitung.

Auch wenn die in den Kämpfen mit den Ungläubigen gebrachten Opfer groß gewesen sein mögen, sind sie dennoch nur dem kleineren Dschihad zuzurechnen. Andererseits ist der kleinere Dschihad nur im Vergleich zum größeren Dschihad als ‚klein' zu bezeichnen. Er sollte niemals unterschätzt werden, weil er den Gläubigen in die Lage versetzt, entweder den Titel eines heiligen Kämpfers des Islam (ghazi) oder den Rang eines Märtyrers (schahid) zu erlangen, die ihm die Pforten des Paradieses öffnen und die Anerkennung Gottes sichern.

Der kleinere Dschihad ist das Bemühen um die bestmögliche Erfüllung religiöser Pflichten. Was den größeren Dschihad betrifft, so ist er in der Tat viel schwieriger zu praktizieren, denn er verlangt von uns, gegen all unsere eigenen destruktiven Triebe und Gemütszustände wie Arroganz, Rachsucht, Eifersucht, Egoismus, Überheblichkeit und fleischliche Gelüste zu kämpfen.

Obwohl ein Mensch, der den kleineren Dschihad aufgibt, Gefahr läuft, spirituell zu verkommen, besteht doch die Möglichkeit, dass er sich erholt. Alles im Universum lobt und preist Gott mit jedem Atemzug, alles weist auf die Existenz und die Einheit Gottes hin. Und vielleicht führt eines dieser Zeichen den Menschen auf den Geraden Weg zurück. Deshalb sagt man, dass es so viele Wege gibt, die zum Geraden Weg Gottes führen, wie Atemzüge aller Seiner Geschöpfe. Ein Mensch, der vom kleineren Dschihad zurückkehrt, ist weltlichen Schwächen gegenüber verwundbar. Es besteht die Gefahr, dass nach einem Sieg Stolz, Konsumsucht und Bequemlichkeit von ihm Besitz ergreifen. Möglicherweise denkt er, es sei an der Zeit, sich auszuruhen und Verlockungen nachzugeben. Dies sind nur einige der Risiken, die auf jemanden warten, der vom kleineren Dschihad zurückkehrt. Aus diesem Grund hat uns der Prophet durch seine Gefährten gewarnt. Nach einem Sieg verkündete er auf dem Rückweg nach Medina: Wir kehren gerade vom kleineren zum größeren Dschihad zurück.[9]

Die Gefährten des Propheten waren einerseits auf dem Schlachtfeld so unbezähmbar wie Löwen, andererseits aber bei der Anbetung Gottes so aufrichtig und demütig wie Derwische. Diese siegreichen Kämpfer verbrachten die meisten ihrer Nächte im Gebet zu Gott. Als die Kampfhandlungen einmal bis in die Nacht andauerten, mussten zwei von ihnen abwechselnd Wache stehen. Der eine ruhte sich aus und schlief, während der andere zu Gott betete. Ein Feind erfasste die Situation und schoss mehrere Pfeile auf den Betenden ab. Dieser wurde getroffen und blutete stark, brach sein Gebet aber nicht vorzeitig ab. Erst als er es beendet hatte, weckte er seinen Freund, der ihn erstaunt fragte, warum er ihn denn nicht früher geweckt habe. Seine Antwort lautete: „Ich war gerade dabei, die Sure ‚Die Höhle' zu rezitieren, und wollte die tiefe Freude, die ich in diesem Gebet fand, nicht zerstören."[10]

Im Gebet fielen die Gefährten in einen tranceartigen Zustand der Ekstase, und den Koran rezitierten sie, als wäre er ihnen direkt offenbart worden. Deshalb spürten sie nicht einmal die Schmerzen von Pfeilen. In ihnen manifestierten sich der kleinere und der größere Dschihad auf vollkommene Art und Weise.

Doch am besten gelang es dem Propheten, diese beiden Seiten des Dschihad in seiner Person zu verbinden. Auf dem Schlachtfeld bewies er ungeheuren Mut. Ali, der selbst eine der mutigsten Persönlichkeiten des Islam war, bekennt, dass sich die Gefährten in den kritischsten Augenblicken des Kampfes hinter dem Propheten in Sicherheit brachten. Um ein Beispiel zu nennen: Als die muslimische Armee in der ersten Phase der Schlacht von Hunain zurückwich und sich zu zerstreuen begann, trieb er sein Pferd in die Reihen der Feinde und rief, um seine Soldaten, die sich auf der Flucht befanden, wieder zurückzurufen mit lauter Stimme: Ich bin ein Prophet, ich lüge nicht; ich bin der Enkel von Abd ul-Muttalib, ich lüge nicht![11]

So wie er der mutigste Mensch auf den Schlachtfeldern war, war er auch der hingebungsvollste in der Anbetung Gottes. Im Gebet wurde er von Liebe und Gottesfurcht verzehrt, und diejenigen, die ihn sahen, fühlten sich sehr zu ihm hingezogen. Oft fastete er mehrere Tage in Folge. Manchmal verbrachte er die ganze Nacht im Gebet, und seine Füße schwollen an, weil er so lange dabei stand. Einmal fand Aischa, dass er schon extrem lange im Gebet verweilte, und so fragte sie ihn, warum er sich so vielen Strapazen aussetze, wo ihm doch seine Sünden schon alle vergeben worden seien. Soll ich denn etwa kein dankbarer Diener Gottes sein? lautete seine Antwort.[12]

Der Prophet war tatsächlich unglaublich mutig. Als er und Abu Bakr sich einmal in der Höhle von Thaur versteckten und eine Reihe von Polytheisten ihnen so nahe kamen, dass sie sie um ein Haar entdeckt hätten, sagte er: Sei unbekümmert; Gott ist zweifelsohne mit uns.[13] Andererseits war er aber auch so gutherzig, dass er heftig weinte, wenn er den Koran rezitierte oder ihm zuhörte. Einmal bat er Ibn al-Masud, einen Abschnitt vorzutragen. Ibn al-Masud entschuldigte sich und sagte, er könne den Koran nicht vor demjenigen rezitieren, dem er offenbart wurde. Der Gesandte Gottes bestand jedoch darauf und sagte, dass es ihm großes Vergnügen bereite, jemand anderem bei der Koranrezitation zuzuhören. Daraufhin begann Ibn al-Masud die Sure an-Nisa zu rezitieren. Als er bei dem Vers Und wie, wenn Wir aus jedem Volk einen Zeugen herbeibringen und Dich als Zeugen gegen diese herbeibringen? (4:41) ankam, bat ihn der Prophet nicht weiterzulesen, weil er dies - aus Furcht vor Gott - nicht länger ertragen könne. Ibn al-Masud erzählt den Rest der Geschichte: „Der Gesandte Allahs vergoss so viele Tränen, dass ich nicht weiter rezitierte."[14] Der Prophet war ebenso gutherzig wie mutig. Er sagte, er bitte Gott täglich mindestens siebzig Mal um Vergebung, und forderte auch seine Gemeinschaft wiederholt dazu auf, um Vergebung zu bitten.[15]

Wer den größeren Dschihad erfolgreich praktiziert, wird mit ziemlicher Sicherheit auch beim kleineren Dschihad Erfolg haben; umgekehrt ist dies aber keineswegs der Fall. Wer beim größeren Dschihad versagt, darf nicht erwarten, im kleineren erfolgreich zu sein.

Aischa erzählt: „Eines Nachts bat mich der Gesandte Allahs um Erlaubnis, sein freiwilliges Mitternachtsgebet verrichten zu dürfen." (Er war ein so feinfühliger Mensch, dass er sogar von seinen Frauen die Erlaubnis einholte, Gott während der Zeit, die ihnen gehörte, anbeten zu dürfen.) Aischa fährt fort: „Ich sagte: ‚So sehr ich mir auch deine Gesellschaft wünsche, noch mehr wünsche ich, dass du das tust, was du möchtest.' Dann vollzog er seine Gebetswaschung (wudu) und begann mit dem Gebet. Er rezitierte den Koranvers: Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Wechsel der Nacht und des Tages liegen wahre Zeichen für die Verständigen. (3:190) immer und immer wieder und vergoss bis zum Tagesanbruch Tränen."[16]

Manchmal stand der Gesandte Gottes auf um zu beten, ohne seine Frau zu wecken, da er ihren Schlaf nicht stören wollte. Aischa berichtet: „Eines Nachts wachte ich auf und sah, dass der Gesandte Allahs nicht da war. Da ich dachte, er sei bei einer anderen seiner Frauen, wurde ich sehr eifersüchtig. Als ich aufstehen wollte, berührte meine Hand in der Dunkelheit seinen Fuß. Er war gerade dabei, sich im Gebet niederzuwerfen und sprach in diesem Gebet: ‚O Allah, bei Deinem Wohlgefallen suche ich Zuflucht vor Deinem Zorn; bei Deiner Vergebung suche ich Zuflucht vor Deiner Strafe. O Allah, bei Dir suche ich Zuflucht vor Dir, bei Deiner Gnade suche ich Zuflucht vor Deiner Pein, bei Deiner Barmherzigkeit vor Deiner majestätischen Erhabenheit, bei Deinem Mitgefühl vor Deiner unwiderstehlichen Macht; und ich bin nicht in der Lage, Dich so zu preisen wie Du Selbst Dich preist.'"[17]

Die Gefährten des Propheten waren sich der Verpflichtung, Muhammad in jeder ihrer Handlungen zu folgen, sehr wohl bewusst und taten ihr Bestes, um im Jenseits seiner Gesellschaft würdig zu sein. Einige verzweifelten schier bei dem Gedanken, im nächsten Leben von ihm getrennt leben zu müssen; so verlor zum Beispiel Thauban seinen Appetit. Er war nicht in der Lage gewesen, an einem der Feldzüge des Propheten teilzunehmen. Nach seiner Rückkehr machten viele Menschen dem Prophet ihre Aufwartung; auch Thauban stattete ihm einen Besuch ab, war dabei aber so blass, dass der Gesandte Gottes nicht umhin konnte, ihn nach seiner Gesundheit zu fragen. Thauban antwortete ihm: „O Gesandter Allahs, ich bin von der Angst erfüllt, im Jenseits von dir getrennt zu sein. Du bist der Gesandte Allahs, daher wirst du das Paradies betreten. Ich aber weiß nicht, ob ich dessen würdig bin; und selbst wenn Allah mir Zugang zum Paradies gewährt, wird dein Aufenthaltsort weit über meinem angesiedelt sein. Es wird mir wohl niemals gelingen, in Deiner Nähe zu sein. Ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll, wo ich doch sehe, dass ich es in dieser Welt noch nicht einmal verkrafte, drei Tage von dir getrennt zu sein." Als der Gesandte Gottes Thauban die folgende gute Nachricht übermittelte, war dieser beruhigt: „Ein Mensch wird immer in der Gesellschaft dessen sein, den er liebt."[18]

Jemanden zu lieben bedeutet, dessen Vorbild in diesem Leben zu folgen, und die Gefährten des Propheten schenkten dem mehr Beachtung als alle andere Menschen.

Umar war sehr darauf bedacht, Familienbande mit dem Gesandten Gottes zu knüpfen. Aus diesem Grunde erhoffte er sich, Fatima zur Frau nehmen zu können, die sein Ansinnen jedoch zurückwies und darauf bestand, Ali zu heiraten. Später, in den letzten Jahren seines Kalifats, schloss Umar die Ehe mit Umm Kulthum, der Tochter Alis. Wenn er gewollt hätte, hätte er damals die Tochter jeden beliebigen Herrschers seines Zeitalters heiraten können, aber sein einziger Wunsch war es, mit der Familie des Propheten verbunden zu sein. Er hatte nämlich den Gesandten Gottes sagen hören, dass genealogische Verbindungen im Jenseits keinen Vorteil abwerfen würden, mit einer Ausnahme: der Familienbande.

Umar war dem Gesandten Gottes zutiefst ergeben. Oft ergriff der Prophet seine Hand und sagte: Auch im Jenseits werden wir so sein (zusammen, wie die beiden Hände). Trotzdem sehnte sich Umar danach, direkt mit der Familie des Propheten verbunden zu sein, und gab ihm seine Tochter Hafsa zur Frau. Er selbst heiratete die Enkelin des Propheten Umm Kulthum. Bei Gelegenheit sagte Umars Tochter Hafsa zu ihrem Vater: „Mein lieber Vater, oft kommen Gesandte aus fremden Ländern zu Besuch, und von Zeit zu Zeit empfängst du Botschafter. Ich denke, du solltest dir neue Kleider zulegen." Umar war über diesen Vorschlag empört und erwiderte: „Wie soll denn dann meine Freundschaft mit dem Propheten und Abu Bakr weiter Bestand haben? Ich muss ihrem Beispiel so konsequent folgen, dass ich auch im Jenseits mit ihnen zusammen sein kann sein."

Der Gesandte Gottes und seine Gefährten praktizierten den größeren Dschihad erfolgreich, und sie waren Gott sehr ergeben. Sie verbrachten so viel Zeit im Gebet, dass diejenigen, die sie sahen, dachten, sie würden gar nichts anderes mehr tun. Doch das stimmte natürlich nicht, denn sie führten ein vollkommen ausgeglichenes Leben.

In ihrem Handeln waren sie zutiefst aufrichtig. Sie taten alles nur um der Sache Gottes willen und versäumten es nie, sich selbst zu disziplinieren. Einmal hielt Umar gerade eine Predigt, als er plötzlich, ohne einen ersichtlichen Grund, folgende Worte von sich gab: „O Umar, du warst ein Hirte, der die Schafe seines Vaters hütete." Als er nach dem Gebet gefragt wurde, warum er dies gesagt habe, antwortete er: „Ich realisierte, dass ich der Kalif war, und da hatte ich Angst, hochmütig zu werden." Einmal sah man ihn einen Sack auf dem Rücken tragen. Als er nach dem Grund gefragt wurde, lautete seine Antwort: „Ich fühlte eine gewisse Hochmut in mir, und da hatte ich den Wunsch, dieses Gefühl loszuwerden."

Umar ibn Abdul-aziz schrieb einen Brief an einen seiner Freunde und zerriss ihn dann. Als man ihn fragte warum, erklärte er: „Ich war stolz auf seinen sprachgewandten Stil, deshalb habe ich ihn zerrissen."

Nur ein Dschihad, der von so vollkommenen Menschen praktiziert wird, führt zu wirklich eindrucksvollen Resultaten. Wer noch nicht in der Lage ist, sich von Stolz, Eigennutz und Unaufrichtigkeit zu befreien, wird der Sache des Islam sehr wahrscheinlich großen Schaden zufügen, und ich möchte ausdrücklich betonen, dass ein Mensch mit diesen Schwächen niemals das erhoffte Ziel erreichen wird.

Im Koran gibt es einige Verse und Suren, die die beiden Seiten des Dschihad beschreiben. Eine dieser Suren ist die Sure an-Nasr: Wenn die Hilfe Allahs kommt und der Sieg und du die Menschen zur Religion Allahs in Scharen übertreten siehst, dann lobpreise deinen Herrn und bitte Ihn um Vergebung! Er ist wahrlich der, der die Reue annimmt. (110:1-3)

Als die Gläubigen den kleineren Dschihad praktizierten - durch Kampf auf dem Schlachtfeld oder Verkünden der Wahrheit -, als sie das Recht zur Pflicht machten und das Unrecht verboten, wurden ihnen die Unterstützung Gottes und der Sieg zuteil; die Menschen begannen, dem Islam in Scharen beizutreten. In dieser Situation ordnete der Allmächtige an, dass Er gepriesen und Seine Vergebung erstrebt werden sollte. Da aller Erfolg und alle Triumphe von Gott kommen, ist Er es, der allein zu preisen und anzubeten ist.

Wenn es einem Menschen gelingt, den Triumph über den Feind mit dem Triumph über die eigene sinnliche Seele zu verknüpfen, dann hat er den Dschihad in vollkommener Art und Weise praktiziert. Von Aischa wird berichtet, der Gesandte Gottes habe nach der Offenbarung der Sure an-Nasr mehrmals folgendes Gebet gesprochen: Ich huldige Dir mit meinem Lobpreis, o Allah; ich strebe nach Deiner Vergebung, und ich wende mich in Reue an Dich.[19]

Der Prophet vereint in einem seiner Aussprüche beide Seiten des Dschihad: Zwei Augenpaare werden niemals das Höllenfeuer sehen: Die Augen eines Soldaten, der an Grenzen und auf Schlachtfeldern Wache hält, und die Augen eines Menschen, der aus Furcht vor Allah Tränen vergießt.[20]

Schlaflos an den Grenzen und auf den Schlachtfeldern Wache zu halten, entspricht dem kleinen Dschihad, während die Reinigung durch das Vergießen von Tränen aus Furcht vor Gott dem größeren Dschihad angemessen ist. Jeder Gläubige, der im Dschihad Erfolg hat, wird den Qualen des Höllenfeuers entgehen. Der Dschihad sollte jedoch als Ganzes betrachtet werden. Diejenigen, die vorgeben, die Wahrheit zu verkünden, sich gleichzeitig aber in Spitzfindigkeiten verlieren und Dinge vorschlagen, die sie in Wirklichkeit gar nicht durchführen wollen, verursachen unter den Muslimen nichts als Probleme. Da sie nicht fähig sind, sich selbst zu disziplinieren, und Eigennutz, Großspurigkeit oder auch den Wunsch, andere zu beherrschen, nicht überwinden können, belasten sie die Sache des Islam mit Konflikten. Andererseits reduzieren diejenigen, die in nahezu vollkommener Abgeschiedenheit leben und versuchen, hohe spirituelle Stufen zu erklimmen, ohne sich dafür einzusetzen, die Wahrheit zu verbreiten, den Islam auf eine Art ‚spirituelles System', das mit bestimmten Aspekten des Yoga zu vergleichen ist. Diese Menschen argumentieren, die allererste Pflicht eines Muslims bestehe darin, spirituelle Reife zu erlangen, um der Hölle zu entgehen. Dabei begreifen sie jedoch nicht, dass sich diejenigen, die sich vor der Hölle sicher glauben, irren. Niemand kann sich sicher sein, gerettet worden zu sein, und Gott befiehlt uns, Ihm zu dienen, solange wir leben: Und diene Deinem Herrn, bis die Gewissheit zu dir kommt. (15:99)

Ein Gläubiger sollte weder fest davon ausgehen, dass er den Höllenqualen entgeht, noch die Hoffnung auf die Gnade und Vergebung Gottes verlieren. Zwar sollte er vor Gottesfurcht erzittern, so wie es Umar tat, andererseits aber sollte seine Furcht ihn nicht davon abhalten, auf das Eingehen ins Paradieses zu hoffen, denn der Koran sagt: Und dem aber, der sich vor der Gegenwart seines Herrn fürchtet, werden zwei Gärten zuteil sein. (55:46)

Um noch einmal zusammenzufassen, was bisher gesagt wurde:

Der wahre Dschihad verknüpft die kleineren mit den größeren Seiten des Dschihads. Weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart haben die rechtschaffenen muslimischen Gelehrten und Persönlichkeiten jemals einen Unterschied zwischen diesen beiden Seiten gemacht. Selbst im Gefängnis haben sie nie davon abgelassen, die Wahrheit zu verkünden, und auch den Dienst an Gott haben sie niemals vernachlässigt: Sie haben ihre Nächte stehend und sich niederwerfend im Gebet zu ihrem Herrn verbracht. Jede ihrer Handlungen hat ihren Glauben gefestigt, ihr Vertrauen und ihre Kraft gestärkt, und sie dazu veranlasst noch aktiver auf dem Wege Gottes voranzuschreiten. Ihr ganzes Leben haben sie in der Überzeugung verbracht, dass Gott stets über sie wacht. Dafür dass sie Ihn durch ihre Taten zufrieden gestellt haben, hat Er sie stets unterstützt und ihre Taten mit Erfolg gekrönt. Wer den Dschihad praktiziert, muss in seinem Glauben und seinem Handeln absolut aufrichtig sein und die Absicht haben, ausschließlich nach der Anerkennung Gottes zu streben. Er wird sich anderen Menschen aufrichtig, entgegenkommend und sanftmütig nähern. Niemals wird er in seiner Rede auf Spitzfindigkeiten zurückgreifen oder seinen Zuhörern belanglose Dinge erzählen.

Der Dschihad bedarf zum einen der Selbstbeherrschung und zum anderen der Verkündung der Wahrheit. Er erfordert die Überwindung der eigenen sinnlichen Begierden, aber auch die Ermutigung anderer, dem eigenen Beispiel Folge zu leisten. Wird der erste Punkt vernachlässigt, bedeutet dies Anarchie in der Gesellschaft, während die Vernachlässigung des zweiten Punkts zu Trägheit führt. Heutzutage ist es sehr wichtig, den Islam im Allgemeinen und den Dschihad im Besonderen wirklich zu verstehen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn man die Sunna des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, strikt befolgt.

Wie glücklich doch diejenigen sind, die sich auf dem Wege Gottes bemühen, um sich selbst und andere zu retten! Und wie glücklich erst jene sind, die sich, obwohl sie andere retten, nicht selbst vernachlässigen!


[1] Bukhari, Iman, 26; Dschihad, 7; Ibn Madscha, Dschihad, 3, 18
[2] Tirmidhi, Fada'il ul-Dschihad, 12
[3] Muslim, Imara, 163; Ibn Madscha, Dschihad, 7
[4] Kaschf al-khafa, 1, 424
[5] Imam Rabbani, Maktubat, 1, 157
[6] Muslim, Munafiq, 38
[7] Bukhari, Tafsir, agh-Ghafir, 40-1; Fada'il ashab an-Nabi, 5
[8] Bukhari, Kafala, 4
[9] Kaschf al-Khafa, 1, 424
[10] Ibn Hanbal, Musnad, 3.344; 359
[11] Bukhari, Dschihad, 52 , 61, 67
[12] Bukhari, Tahadschdschud, 6
[13] Bukhari, Fada'il as-Sahaba, 2
[14] Bukhari, Fada'il al-Qur'an, 32, 33, 35
[15] Bukhari, Da'wat, 3
[16] Ibn Kathir, Tafsir, Al-Imran, 190
[17] Muslim, Sala, 22; Haythami, Madschma az-Zawa'id, 10, 124; Tirmidhi, Da'wat, 81
[18] Bukhari, Adab, 96; Muslim, Birr, 1650
[19] Tirmidhi, Da'wat, 81
[20] Tirmidhi, Fada'il as-Sahaba, Dschihad, 12