„Neue Lage“: Wie der „Spiegel“ aus einem Kritiker einen Gejagten macht
Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat Passagen aus einem Exklusiv-Interview der Deutsch Türkischen Nachrichten im Wortlaut übernommen, ohne die Quelle zu nennen. Mehr noch: Wie jüngst Heribert Prantl erweckte der Spiegel den Eindruck, das Magazin habe mit dem zitierten Gesprächspartner persönlich geredet. Als wir die Kollegen auf den Fehler hinwiesen, ging der Spiegel zum Angriff über. Ein Lehrstück, wie Journalismus nicht sein soll.
Vorige Woche fragte mich ein Leser der DTN, ob ich den neuen „Spiegel“ gelesen habe. Er sagte, es sei ein interessanter Artikel im Heft, in dem auch die DTN vorkommen. Das freute mich, ich schätze den Spiegel. Und gerade für ein junges Medium ist es ein Zeichen der Anerkennung, im Spiegel zitiert zu werden.
Nach der Lektüre war ich jedoch enttäuscht: Im ganzen langen Artikel über den umstrittenen muslimischen Gelehrten Gülen waren die „Deutsch Türkischen Nachrichten“ nicht erwähnt. Das ärgerte mich, denn wir hatten in der Vergangenheit als einzige deutschsprachige Zeitung ein Interview mit Gülen geführt. Außerdem hatten wir gerade erst vor einigen Wochen ein Interview mit seinem schärfsten Kritiker in den USA, dem Harvard-Professor Dani Rodrik geführt. Wir beschäftigen uns immer wieder mal mit Gülen, weil er eine sehr kontroverse Figur ist: Die einen halten ihn für das Mastermind eines türkischen Gottesstaats und Herrscher über ein gewaltiges, unsichtbares Netzwerk, welches die westliche Welt in die Scharia zwingen will. Die anderen halten ihn für einen frommen Mann, dessen Spiritualität vielen als Vorbild für ihr persönliches, privates Leben gilt.
Ich fand das Bild, das der Autor von der Gülen-Bewegung zeichnete, nicht weit von einer realistischen Einschätzung entfernt. Vor allem aber gab es in dem Bericht ein großes Foto von Ercan Karakoyun, dem Gründungsherausgeber der DTN. Er ist mit seinem Berliner „Forum für den Interkulturellen Dialog“ ein bekennender Gülen-Mann. Wir haben uns im vergangenen November freundschaftlich darauf geeinigt, dass er seine Herausgeberschaft an den DTN niederlegen solle. Denn uns war klar geworden, dass die Gülen-Bewegung – wie jede andere türkische Bewegung auch – extrem polarisiert. Wir wurden in den vergangenen Monaten immer wieder mit Gülen in Verbindung gebracht. Und weil Verschwörungstheorien meist nicht mit guten Argumenten zu widerlegen sind, wurde uns klar: Jemand, der ein offizieller Sprecher der Bewegung ist, kann im Grunde nicht Herausgeber der DTN sein, die sich strikter Unabhängigkeit verpflichtet wissen.
In einer Grafik im Spiegel fand ich endlich auch die Stelle, an der die Deutsch Türkischen Nachrichten erwähnt waren: Wir wurden – bingo! – dem Netzwerk der Gülen-Bewegung „zugeordnet. Das ist falsch. Alle Medien des Gülen-Imperiums erscheinen – wie das Flaggschiff der Gülens, die Zeitung Zaman – ausnahmslos bei der in Offenbach ansässsigen World Media Group. Die DTN werden vom Berliner Medienunternehmen Blogform Social Media herausgegeben. Ein Blick auf das Impressum der DTN hätte Aufklärung gebracht. Auch ein Anruf bei uns wäre eine Möglichkeit gewesen.
Ich rief die neue Chefin des Auslandsressorts, Britta Sandberg an. Sie ist – ich muss es gestehen – die einzige in der „Hierarchie“ des „Spiegel“, die ich noch persönlich kenne. Ich bat sie, mich mit dem zuständigen Ressort in Kontakt zu bringen, denn Herr Karakoyun sei seit einem Jahr nicht mehr Herausgeber und wir gehörten auch nicht zum Gülen-Imperium.
Ich wollte das Heft schon zur Seite legen, als mein Blick auf den letzten Absatz des Artikels fiel. Hier stand: (Zitat) Çebi (der ehemalige Chefredakteur) und die „Zaman“ erklären den Lesern, wie sich die Welt aus Sicht der Cemaat darstellt. Die Zeitung druckt Texte Gülens und Auszüge aus dessen Predigten und Gedichten. Kritiker werfen „Zaman“ vor, gezielt Falschmeldungen zu verbreiten, um Gülen-Gegnern zu schaden. Als Politiker der Partei Die Linke vor einigen Wochen Äußerung Gülens zu den Kurden rügten, behauptete „Zaman“, Die Linke unterstütze die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK. „Die Bewegung steckt bis zum Hals in schmutzigen Machenschaften“, sagt Dani Rodrik, Professor für Wirtschaftspolitik in Harvard. „Zaman“ unterstütze diese „Mafia“ durch „Lügen, Fälschungen, Manipulation“. „Es gibt keine Desinformation, die sie auslassen würden, um für ihre Sache zu werben“, sagt Rodrik. Mahmut Çebi widerspricht allen Vorwürfen. Seine Zeitung orientiere sich an den Idealen Gülens, empfange aber keine Aufträge von ihm. Gülen sei kein Sektenführer. „Er ist ein Philosoph wie Habermas.“ (Ende Zitat).
Das kam mir bekannt vor. Und tatsächlich: Bis auf die „Mafia“ und die „Manipulation“ stammten sämtliche Zitate/Begriffe aus den Deutsch Türkischen Nachrichten. Das Interview hatte ich geführt und aus dem Englischen übersetzt.
Bei uns im Interview steht: Dani Rodrik: „Ich vergleiche die Zaman mit der Prawda während der Regierungszeit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Es gibt keine Desinformation, die sie auslassen würden, um für ihre Sache zu werben. Zamans absichtliche Verzerrungen bei den politisch-militärischen Prozessen sind vermutlich der wichtigste Grund, der dazu geführt hat, dass ich begonnen habe, die Gülen-Bewegung wegen der Mitschuld an der Fälschung von Beweisen zu verdächtigen.“
Und weiter: Dani Rodrik: „Leider ist das, was Gülen und seine Anhänger sagen, oft das Gegenteil von dem, was sie dulden oder unterstützen. Ich war nicht immer ein Gülen-Kritiker. Aber betrachtet man die von den Gülenisten unterstützen Gerichtsverfahren, wird schnell deutlich, dass die Bewegung bis zum Hals in schmutzigen Machenschaften steckt. Und man kann nur schwer sagen, dass das Werk von einigen übereifrigen Anhängern sei.“
Dani Rodrik: „Eines der Probleme der türkischen Gesellschaft ist, dass viele Gruppen gegeneinander kämpfen. Es wird eine Menge geschrieben und viele Anschuldigungen basieren auf Gerüchten, Klatsch und Lügen.“
Ich war irritiert. Sollte Rodrik in zwei verschiedenen Interviews wörtlich auf Englisch dasselbe gesagt und der „Spiegel“ es dann zufällig im identischen Wortlaut wie in den DTN übersetzt haben? Erst dachte ich, der Redakteur muss mit Rodrik gesprochen haben. Dann wurde mir klar, dass die Passage raffiniert aufgebaut war: Er zitiert Çebi (den er wirklich getroffen hat) und schneidet dann Rodrik dagegen. So entsteht der Eindruck, dass er mit beiden tatsächlich gesprochen hat. Die Worte „Lügen“ und „Fälschung“ könnten aus den DTN sein. Mich interessiert auch, in welchen Quellen Rodrik von „Mafia“ und „Manipulation“ gesprochen hatte – denn das stand ja nun nicht bei uns.
Ich rief erneut Frau Sandberg an und bat sie: Wenn sie mit dem Ressort spricht, möge sie anmerken, dass offenbar Zitate ohne Quellenangabe aus den DTN übernommen wurden.
Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf von Herrn Alfred Weinzierl. Er eröffnete das Gespräch sehr jovial: „Ich höre, wir bereiten Ihnen Sorgen?“ Ich sagte, ich hätte zwei Probleme: Wir gehören nicht zu Gülen; vor allem aber wurde ein Zitat von uns gestohlen, was mich noch viel mehr ärgert. Weinzierl räumte gleich ein, dass die Grafik falsch war und sagte, da habe ich recht, das hätte die Dok (die Spiegel-Dokumentation) sehen müssen. Aufgefordert, eine Lösung vorzuschlagen, bot Weinzierl an, ich solle einen Leserbrief schreiben. Er würde dafür sorgen, dass dieser entgegen der gängigen Spiegel-Praxis gleich in der darauffolgenden Woche gedruckt würde.
Bei unserem nächsten Gespräch trat er deutlich forscher auf: Er habe jetzt mit dem Autor des Textes gesprochen. Und dieser habe ihm bestätigt, Rodrik zweimal persönlich getroffen zu haben. Ich fragte, wie es zu erklären sei, dass Herr Rodrik, der kein Deutsch spricht, zufällig zweimal wörtlich das Gleiche auf Deutsch sagt? Herr Weinzierl beharrte darauf, dass es möglich sei, zweimal das Gleiche zu sagen, und zwar auf Englisch und Deutsch gleichzeitig. Außerdem stünde das alles auch auf dem Blog von Herrn Rodrik.
Dani Rodrik ist ein extrem scharfer Denker, der nie zweimal das Gleiche sagt und schon gar nicht auf Deutsch. Deshalb kündigte ich Herrn Weinzierl an, Rodrik anzurufen und ihn zu fragen, wie das passiert ist.
Keine halbe Stunde später hatte ich eine SMS auf meinem Handy. Der Wortlaut: „Sehr geehrter Herr Maier, Kommando zurück in einer Sache, bevor es zu neuen Irritationen kommt: Herr Popp hat sich nicht persönlich mit Herrn Rodrik getroffen, sondern mit Karakoyun, letztmals im Mai/Juni. Das habe ich heute in den diversen Telefonaten mit Popp und Frau Sandberg durcheinander gebracht. Besten Gruß, Alfred Weinzierl“
Ich rief Rodrik trotzdem an. Denn aus der SMS wurde nämlich nicht deutlich, ob Herr Popp sich nicht vielleicht über Telefon oder per Email mit Rodrik unterhalten hatte – was für mich gleichberechtigte Interview-Formen sind. Ich erreichte den Ökonomie-Professor und wir unterhielten uns zuerst über die Rolle des IWF in Griechenland. Am Ende unseres Gesprächs fragte ich ihn, ob er das Interview im Spiegel gesehen habe. Aber ja doch, und es sei ja auch zitiert, was er uns, den Deutsch Türkischen Nachrichten, gesagt hatte. Ich sagte bedauernd, dass der Spiegel leider nicht die DTN als Quelle genannt hätte. Das fand er „ really strange“, und fragte mich schließlich, ob ich den „guy“ kenne, der das geschrieben habe. Da war mir klar: Der Autor hat nicht mit Rodrik gesprochen. Und mir war klar: Wir waren zunächst beklaut und dann belogen worden.
Am nächsten Tag schickte nun ich Herrn Weinzierl eine SMS. Ich schrieb: „Habe mit Dani R gesprochen. Er sagte, dass er sehr erstaunt war, die Zitate im Spiegel ohne Quote zu lesen. Gerne rufen Sie mich an. MfG Michael Maier“
Weinzierl antwortete: „Ich habe ja gestern schon die weiße Fahne gehisst. Popp hat das Interview in Rodriks Blog entdeckt, bei der Verifizierung ist dann die DTN-Version angeglichen worden. Ganz klar: eine Quellenangabe wäre besser und korrekter gewesen. Ich erwarte, wie besprochen, Ihren Leserbrief. Besten Gruß, Alfred Weinzierl“. Das Interview steht zwar auf einem Blog, aber nicht auf dem offiziellen Blog von Rodrik. Es steht auf einer Art Gülen-Watchblog (hier). In der ersten Zeile steht klar und deutlich – mit Verlinkung -, dass es sich hier um ein Interview mit den Deutsch Türkischen Nachrichten handelt.
Ich antwortete: „Gestern war die weiße Fahne noch nicht so deutlich erkennbar gewesen. Sie bekommen morgen den Leserbrief wie besprochen. Herzlich, Michael Maier“
Ich schrieb einen Leserbrief, in dem ich darauf verzichtete, den Spiegel zu attackieren. Wir kürzten den Text und feilschten, weil ich natürlich ein wenig Werbung für die DTN machen wollte – und der Spiegel ja zugegeben hatte, dass sie unser Zitat geklaut hatten.
Dann wurde der Ton von Herrn Weinzierl plötzlich schärfer. Nun sei alles anders. Er bezichtigte mich in einer Email der Lüge, weil ich gesagt hätte, Herr Karakoyun sei vor einem Jahr ausgeschieden; dabei sei es erst im November gewesen, und das sind – da hat Herr Weinzierl natürlich recht – zehn Monate. Außerdem habe Herr Karakoyun noch im Frühjahr einen Text in den DTN veröffentlicht. Auch hier hat er recht – ich hatte es vergessen. Weinzierl forderte, dass ich „die Hosen herunterlasse“ wie er es getan habe, „als ich Ihnen mitgeteilt habe, dass ich unsere Zitierweise im Fall Rodrik für mangelhaft erachte. Oder man verbeißt sich in einen Stellungskrieg.“
Weil ich die Sache endlich beenden wollte, sagte ich Herrn Weinzierl zu, einen Satz in den Leserbrief einzufügen, der bestätigte, dass Herr Karakoyun Gründungsherausgeber der DTN war, jetzt aber nicht mehr Herausgeber ist. Herr Weinzierl kürzte den Leserbrief – und übergab die Sache der Chefredaktion; der Brief gehe jetzt seinen „Gang durch die Instanzen“. Ich dachte, der Fall sei gütlich erledigt. Doch es kam ganz anders.
Am nächsten Tag schrieb Herr Weinzierl: „Neue Lage“! Wenn es mir darum gehe, unser „Portal“ bekannt zu machen, dann würden nächste Woche zwei Spiegel-Redakteure zu mir kommen – und ich hätte Gelegenheit, ihnen meine „Intention zu vermitteln“.
Ich willigte ein. Das war ein Fehler. Denn wenige Tage später kamen Woodward und Bernstein und unterstellten mir bei einem Mineralwasser im Berliner Café Einstein in einem Trommelfeuer, dass die DTN ein ganz mieses U-Boot des Islamisten Gülen seien, und dass ich meine journalistischen Standards von „Stern“ und „Berliner Zeitung“ verraten habe. Ich versuchte die Kollegen aufzuklären, so gut es ging, doch es gelang mir nicht. Darüber werde ich demnächst noch im Detail berichten, weil auch dieses „Interview“ ein Lehrstück von schlechtem Journalismus ist.
Weil ich ahnte, dass die freundlichen Kollegen nicht wirklich freundlich waren, ließ ich nach dem Gespräch von unserer Redaktion alle jemals in den DTN erschienenen Gülen-Artikel zusammenstellen. Ich sandte meine „Verteidigungsschrift“ an Woodward und Bernstein und an Herrn Weinzierl. Für ein islamistisches U-Boot erwiesen sich die DTN in den vergangenen Jahren als sehr uneffektiv: Seit Gründung der DTN im Dezember 2010 hatten wir insgesamt 14.223 Artikel veröffentlicht. Davon beschäftigen sich mit dem Thema Gülen neutral-nachrichtlich 10, positiv 6, kritisch 11 Artikel.
Am nächsten Tag schrieb ich Herrn Weinzierl, dass das Gespräch eine merkwürdige Wendung genommen habe und ich dann doch die Lösung mit dem Leserbrief bevorzugen würde. Nachmittags bekam ich das Urteil: Ich war zum Islamisten erklärt worden. Der Spiegel werde den Leserbrief nicht veröffentlichen, weil es nach dem Urteil des Spiegel vonseiten der DTN „relevante Verbindungen zur Gülen-Bewegung“ gebe. Die abenteuerliche Begründung der Spiegel-Chefredaktion werde ich im nächsten Artikel veröffentlichen. Wir haben eine Stellungnahme von Georg Mascolo zu dem Vorfall erbeten. Sie blieb bislang unbeantwortet. Sollten unsere Fragen beantwortet werden, werden wird das selbstverständlich veröffentlichen.
Die Moral dieser Geschichte liegt nicht darin, dass ein junger Journalist Zitate klaut. Das gab es immer, das wird es immer geben. Die Moral liegt auch nicht darin, dass dieser Journalist das Zitat schon ganz bewusst von der Quelle getrennt hat – weil es ihm seine These – die DTN sind Teil eines heimtückischen islamistischen Imperiums – doch erheblich beeinträchtigt hat. Die Moral liegt auch nicht darin, dass es irgendwie unredlich ist, von Guttenberg bis Prantl auf jeden einzuschlagen, der plagiiert und sich gleichzeitig derselben Praktiken zu bedienen – auch wenn es, wie Herr Weinzierl sagte, ja „nur zwei Sätze“ sind. Im wirklichen Leben wird jeder Ladendieb bestraft, auch wenn er nur eine Tube Zahnpasta hat mitgehen lassen.
Die Moral der Geschichte liegt darin, dass der Apparat des „Spiegel“ offenbar so erstarrt ist, dass er es nicht fertigbringt, Kritik ernst zu nehmen und aus Fehlern zu lernen. Jeder denkt nur an sich in der Hierarchie. Jeder hat Angst vor einem Fehler, und noch viel mehr Angst davor, den Fehler zuzugeben. Jeder denkt: Wie komme ich da ungeschoren durch? Und im System wird dann – ganz und gar gesichtslos – entschieden, aus der Not einen Gegenangriff zu machen.
Ich hätte nicht gedacht, dass dies beim Spiegel möglich ist. Solches passiert nicht, weil beim Spiegel schlechte Journalisten arbeiten – die machen das schon sehr gut. Solches passiert auch nicht, weil die Menschen schlecht sind – ich fand alle Beteiligten eigentlich ganz nett. Solches passiert, weil diese Journalisten Teil eines Systems sind, das in weiten Teilen nicht mehr der Gesellschaft dient, sondern nur sich selbst.
(Lesen Sie demnächst: „Wie ich zum Islamisten wurde“)
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