Fethullah Gülen über den Putsch in Ägypten
Rückschlag für die Demokratie in Ägypten
Fethullah Gülen hat auf fgulen.com hat seine Einschätzungen zum Putsch gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, mitgeteilt. Der Gelehrte warnt dabei vor Selbstgerechtigkeit und ungerechtem Urteilen.
Gülen erinnert angesichts der Entwicklungen am Nil nochmals daran, dass Mursi durch eine demokratische Wahl legitimiert war und erklärt, dass Prozesse der Entfernung einer Regierung durch einen Putsch, genau wie am 27.Mai (1960), 12.März (1971) und 12.September (1980) in der Türkei, als Missetaten in die Geschichtsbücher eingetragen werden. Es sei noch nicht mal ein Jahr her, dass Mursi an die Führung gekommen ist und schon sei versucht worden, ihn unter dem Vorwand, „er hätte einen Fehler begangen", von der Regierung zu entfernen – was Gülens Meinung nach einen Akt der Gewissenslosigkeit darstellt: „Die Demokratie hat erneut einen Rückschlag erlebt". Auf seiner Website www.herkul.org übermittelte Gülen unter der Überschrift „Ein Putsch in Ägypten und eine Buße im Ramadan" folgende Botschaft:
„In einem Jahr kann der Mensch seine Lehrzeit nicht bewältigen. Auch nicht ein muslimischer Staat, welcher nach den heutigen Kriterien, mit einer bestimmten Erwartung, entsprechend den demokratischen Regeln, in die Wahlen geht. Innerhalb von nicht länger als einem Jahr entsteht eine Regierung. Aber in einem Jahr kann ein Mensch seine Lehrzeit nicht bewältigen. Die Aufgabe, einen Staat zu lenken, ist eine große Aufgabe. Einige sagen, die Regierung sei aufgrund von Fehlern gestürzt worden.
Ein Gläubiger hält positive Meinungen über jemanden, aber er oder sie kann damit falsch liegen... Wir können selbst eines Tages Opfer unserer positiven Meinungen werden. Wenn jemand diesen Fehler entdeckt, soll er seine Mitmenschen warnen und versuchen, sie vor diesem Fehler zu bewahren.
Erinnerung an die Staatsstreiche in der Türkei
Manchmal umgibt auch eine Gruppe eine Person, die sehr eigenwillige Interessen verfolgt. Aber ihre Unterstützung dient nur ihrem eigenen Interesse. Sie applaudieren der Person und preisen sie. Der Betreffende hält die Leute für seine ehrlichen Freunde. Er nennt das gut, was sie für gut halten und das schlecht, was sie für schlecht halten. Diese Person – Mursi – kann auch in dieser Weise getäuscht worden sein. Man hätte ihn warnen sollen. Die Dienste hätten ihn warnen sollen. Der Aufruhr hätte von Beginn an verhindert werden sollen. Nun ist es aber ein Akt der Erbarmungslosigkeit, ihn wegen seiner Fehler zu stürzen.
Welchen Schaden haben wir genommen durch den 27. Mai oder den 12. September. Diese Missetaten haben Probleme über uns alle gebracht. Die Rechenschaft dafür werden ihre Urheber vor Gott geben müssen. Aber auch vor dem kollektiven Gewissen werden sie die Rechenschaft dafür geben müssen. In den Geschichtsbüchern werden diese Missetaten Seiten, Zeilen und Absätze füllen und man wird die Hände heben und „Ein Jammer um euch" sagen: Ein Jammer um den 27. Mai, ein Jammer um den 12. März, ein Jammer um den 12. September und um denjenigen, der dies gemacht hat. Die Demokratie hat erneut einen Rückschlag erlebt.
Es ist falsch, ihm jetzt Verbrechen andichten zu wollen. Es ist nicht in Ordnung, das schlimme Geschehen in Ägypten damit zusätzlich zu belasten. Einige werden sagen, wir hätten das nicht wissen können, als wir ihn auf den Thron gesetzt haben - und dabei haben sie eigentlich ihre eigenen Rechnungen beglichen und die ganze Sache noch verschlimmert. Doch im Rechtsstaat ist Rufmord eine sehr gewichtige Angelegenheit.
Und jetzt, wo sie ein Dutzend Menschen sammeln und wegbringen, bemühen sie sich auch noch, ihnen eine Schuld zuzuweisen, um sich dann selbst aus der Affäre zu ziehen. „Wie kam es dazu, wie ist das passiert?", „Hätte er doch darüber nachgedacht oder es vorher wissen müssen" sind nicht die richtigen Worte. Ein anderer würde dann sagen, da steckt ein Geheimdienst dahinter. Oder wenn sie sagen würden, verzeihen Sie mir den Ausdruck: dieser Mann ist ein Feigling. Das könnten auch die Geheimdienste in Ägypten und Syrien sagen. Auch der Geheimdienst in der Türkei könnte so etwas behaupten. Man könnte auch sagen, falls es denn diese Abhörtechnologien in der ganzen Welt gibt, auf die Ihr Euer System aufgebaut habt, um der ganzen Welt zu lauschen, dann habt Ihr wohl diesen Mann übersehen. Dann solltet Ihr aber Euch selbst die Schuld geben.
Muslime sind zu gutgläubig
Die Muslime verlieren, weil sie immer zu gutgläubig sind. Einen guten Muslim kann man täuschen. Vielleicht habt Ihr einen Muslim bei Euch aufgenommen, 20 oder 30 Jahre Euren Bruder genannt und ihn herzlich aufgenommen. Doch wenn Ihr eines Tages einen Dolch in den Rücken bekommt, so spürt Ihr einen tiefen Schmerz. Und wenn Ihr Euch umdreht, um zu sehen, wer das war, dann wundert Ihr Euch. Wer so etwas sieht oder spürt, sollte Bescheid geben. Wenn es der Geheimdienst mitbekommt, so sollte er warnen. Man sollte es verhindern, dass Menschen getäuscht werden.
Der Aufruhr hätte von Anfang an verhindert werden müssen. Manchmal tummelt sich eine Bande von Leuten im Umfeld dieses Aufruhrs; Menschen, die die Gelegenheit ausnutzen wollen und es nur deswegen unterstützen, weil sie sich Profit davon versprechen. Sie zeigen so wenig Respekt, dass sie diesen Unruhen sogar applaudieren. Dann gibt es welche, die die falschen Freunde für die richtigen halten und dann wird es umso schwieriger, an diese Menschen heranzukommen. Sie sagen sodann, dass alles gut ist, was ihre Freunde gut finden und sehen alles falsch, was ihre Freunde für falsch halten. Dabei kann sich der gute Freund auch irren. Auch er muss aber gewarnt werden. Die von mir bereits erwähnten Geheimdienste hätten auch Warnsignale geben müssen. Die Unruhen hätten von Anfang an gestoppt werden müssen.
Es gibt welche, die einen Herbstwind wehen lassen wollen - Vorsicht ist geboten
Man sollte sich nicht auf die Muslime stürzen, die solche Fehler begangen haben, wie oben erwähnt. Vielleicht sollte man eher sagen: Gott soll ihnen verzeihen, wenn sie sich getäuscht haben und sie sollen nicht in Verlegenheit gebracht werden. Das sind Gläubige, sie werden, wenn Gott ihnen noch einmal die Gelegenheit gibt, nicht die gleichen Fehler machen.
Man sollte nicht so herzlos sein. Das ist auch noch ein Thema. Es gibt einen Fehler, nämlich so was wie die Unterstellung oder Beschuldigung gegen Menschen, die sich in die Irre führen ließen oder diese Menschen für dumm und rückständig zu halten.
Und während man „diese Menschen" sagt, verallgemeinert man, man verallgemeinert etwas, was an einem Ort geschieht, dann baut man darauf seine Basisargumentation auf, diese verallgemeinerten Gefühle und Interpretationen versucht man dann, anderen Menschen zu injizieren. All das, was dort passiert, kann auch hier passieren.
Vermutlich haben wir Frühling gesagt und sonst was gesagt, doch nicht durchblicken können, was genau dahinter steckt. Nun beginnt an einigen Stellen ein Herbstwind zu wehen. Es kann welche geben, die den Frühling mit dem Herbstwind überschatten und ihn für ihre eigenen Interessen nutzen wollen. Es ist Vorsicht geboten."
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