Der Zukunft entgegen
Nach wie vor windet sich die islamische Welt im festen Griff der Trugschlüsse - unfähig, sich mit Hilfe ihres eigenen Geistes und ihrer eigenen Essenz selbst zu befreien. Zwei Schritten nach vorn folgen mehrere Schritte rückwärts, bis sie schließlich vollends die Orientierung verliert. Die Folge ist: Unsere Welt ist nahezu unheilbar krank, und die Räder der Staaten und Nationen drehen sich gegen uns.
Daher sollte die islamische Welt auf die ihr eigenen Glaubensvorstellungen zurückgreifen; sie sollte aus ihrer Akzeptanz und Interpretation des Islam und aus ihrem Wissen um das Gute Nutzen ziehen. Will sie zu einer vollständigen Erneuerung gelangen, sollte sie sich ihrer Hingabe und ihres Strebens nach Ekstase, ihrer Vernunft, Logik und speziellen Denkweise, ihrer besonderen Art, sich auszudrücken und zu kommunizieren, und ihrer eigenen charakteristischen Institutionen bedienen. Die Fundamente unseres spirituellen Lebens, unserer religiösen Gedankenwelt und unserer Vorstellungskraft waren für unsere Erfolge in der Vergangenheit verantwortlich. Unsere Religion schenkt der Menschheit und dem Universum eine Bedeutung. Sie erklärt uns uns selbst, und sie umfasst und beeinflusst jeden Aspekt unseres Lebens als Individuen oder in der Gemeinschaft.
Der Dreh- und Angelpunkt allen Handelns der Gläubigen ist die Anbetung, die direkt an das Jenseits gerichtet ist und das Wohlwollen Gottes anstrebt. Doch es gibt keine Zweiteilung in diese Welt und jene Welt oder in Geist und Herz; Gefühl und Verstand der Gläubigen wirken gemeinsam. Ihr Denken sieht nicht über ihre Inspirationen hinweg. In ihrer geistigen Welt erreichen ihre Erfahrungen durchaus ihren Verstand; und ihr Wissen ist ein Bollwerk, das durch Intelligenz, Weisheit und Intuition verstärkt wird. In ihrem Denken existiert keine Lücke.
Die Religion widerspricht weder Wissenschaft noch Vernunft. Sie darf nicht für die Konfrontationen mit einigen Splittergruppen verantwortlich gemacht werden. Konflikte dieser Art resultieren aus Unwissenheit, Ehrgeiz oder erworbenen Rechten. Konfrontationen zwischen religiösen Menschen werden dadurch ausgelöst, dass der Glaube einiger von ihnen nicht so stark ausgeprägt ist, dass sie sich ihre Aufrichtigkeit bewahren und ihre Gefühle hintanstellen können.
Die islamische Gemeinschaft bedarf dringend einer Wiederbelebung. Diese lässt sich aber nur dann in Gang setzen, wenn sich ihre Mitglieder ernsthaft darum bemühen, die ursprünglichen Prinzipien des Islam mit der Tiefe und Allgemeingültigkeit des Koran zu vereinen. Nur so kann der Islam den Bedürfnissen aller Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten gerecht werden und alle Facetten des Lebens einbeziehen. Die Geschichte des Islam wurde schon oft Zeuge von Wiederbelebung, Reform und Erneuerung. Die Rechtsschulen repräsentierten neue Entwicklungen in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Die Sufiorden verwandelten Pfade zu Herz und Seele in breite Boulevards, und unsere Schulen und Hochschulen rangen darum, den Sinn des Universums und seiner Bewohner zu ergründen. Die nun anstehende Erneuerung und Wiederbelebung muss all diese Elemente in sich vereinen. Denn ohne eine Hinwendung zur Sicherheit im Glauben, zur Aufrichtigkeit im Handeln und zur Vortrefflichkeit im Denken wird sie nicht stattfinden.
Alle Akte der Anbetung sollten vollständig und genau so vollzogen werden, wie in Koran und Sunna beschrieben. Worte sollten die Werkzeuge des Gebets sein; die Präsenz der Seele und Aufrichtigkeit sind ganz wesentlich. Die Sunna sollte unser Wegweiser, und bewusstes Empfinden eine Selbstverständlichkeit sein. Nichts anderes als Gott sollte unser Ziel sein; denn wenn diese Akte nicht auf die vorgeschriebene Art und Weise vollzogen werden, wie unterscheiden sie sich dann von vergleichbaren weltlichen Aktivitäten?
Irgendwie muss es uns gelingen, all jene Heilkräfte zu mobilisieren, die unsere Seele und die essenzielle Realität wachrütteln können, die das Vakuum in uns füllen können, die unsere Schwäche überwinden und uns davor bewahren können, zu Sklaven unseres Körpers und unserer fleischlichen Gelüste zu werden, und die uns in Herz und Geist auf eine Ebene des wahren Lebens führen können. Was wir brauchen, sind Ärzte, die den Geist und die Essenz, den Geist und die Realität behandeln; Ärzte, deren Herzen allen Bereichen des Wissens, allen Inspirationen und allen Gunstbeweisen Gottes offen stehen. Kurz: Wir brauchen ganzheitlich orientierte Köpfe!
Diese Menschen sollten ständig in Kontakt und Kommunikation mit den Atomen, Molekülen und Partikeln der Menschen stehen - ganz so, wie der Geist in ständigem Kontakt zum Körper steht. Sie werden jeden willkommen heißen. Indem sie ihren Mitmenschen die Botschaften ihrer Seele übermitteln und sie auf das Niveau von Menschen mit Wissen, besonderen Fertigkeiten und Schöpferkraft für die Zukunft heben, werden sie sie darauf vorbereiten, für das gemeinsame Wohl und zum Nutzen der Gesellschaft zu wirken. Sie werden ihre Mitmenschen vom Schmutz der Jahre reinigen und ihnen die Richtung menschlicher Vollkommenheit weisen.
Überdies werden sie die Medien in Stimmen und Atemzüge sozialen und religiösen Lebens verwandeln. Mit ihrer Hilfe werden sie selbst die Besitzer der düstersten Gefühle, Gedanken und Ansichten lehren, wie sie zu wahren Menschen werden können. Sie werden unsere Bildungsinstitutionen retten, indem sie sie an den Anforderungen unserer Zeit ausrichten und sie historischen Perspektiven folgend neu strukturieren. So werden sie sie ihnen durch die Verwendung anspruchsvoller Arbeitsmethoden und Lehrpläne zu einem höheren Niveau verhelfen.
Die Fundamente unseres spirituellen Lebens, unserer religiösen Gedankenwelt und unserer Vorstellungs-kraft waren für unsere Erfolge in der Vergangen-heit maßgeblich verantwortlich.
Wir als Gesellschaft werden aus dem Elend eines starren und leeren Formalismus herausfinden und zu einem wahren wissenschaftlichen Verständnis gelangen. Von der Anhimmelei unterschiedlichster schmutziger und schändlicher Arbeiten, die nur dem Namen nach Kunstwerke sind, werden wir abrücken und uns wahre Kunst und Ästhetik aneignen. Sitten, Süchte und Obsessionen unbekannten Ursprungs werden wir abstreifen und uns stattdessen das Bewusstsein einer Moralität zu Eigen machen, die auf Geschichte und Religion basiert. Schließlich werden wir die Fesseln so mancher nagender Zweifel unserer Herzen abstreifen und uns der Einheit von Dienst, Unterwerfung, Einsicht und Verzicht anvertrauen.
Kapitalismus, Kommunismus und Sozialismus, die Bastarde der Demokratie, und auch der Liberalismus haben nichts Neues anzubieten. Unsere Welt jedoch ist für die neue Weltordnung offen. Möglicherweise wird diese sogar unsere Renaissance bedeuten. Diese Wiederbelebung wird unserer Gefühls- und Gedankenwelt, aber auch unserem Verständnis von Kunst und Ästhetik eine nie da gewesene Tiefe und Vielfalt verleihen. Wir werden unsere eigenen künstlerischen Freuden ersinnen, zu unserer eigenen Musik finden und unsere eigene Romantik entdecken. Auf einen Nenner gebracht: Wir werden die Zukunft unserer Gemeinschaft auf ein sicheres Fundament stellen.
Auf unserer Fahne werden Tatendrang und Dynamik stehen; die Quelle unserer Stärke wird darin liegen, dass wir uns des Glaubens und der Wahrheit bewusst sind. Wir werden nicht länger um Almosen betteln müssen. Wir werden unsere Ehre zurückgewinnen und ehrenhaft bleiben - allein dadurch, dass wir an unseren Werten festhalten und uns aus vollem Herzen Gott ergeben.
Unserer eigenen Welt entgegen
Viele Zeitalter und ebenso viele Länder haben Bewegungen kommen und gehen sehen, die von sich behaupteten, Reformationsbewegungen oder Bewegungen des Umbruchs zu sein. Solche Behauptungen waren stets umstritten. Nun jedoch ist die Zeit reif für eine echte Reformation, die die ganze Schöpfung umfassen wird: die Reformation der muslimischen Welt.
Einst verkörperten Genies, die die Welt der Erscheinungen bis ins letzte Detail studiert hatten, fast alle Naturwissenschaften und religiösen Wissenschaften vom Sufismus bis hin zur Logik und von der Städteplanung bis hin zur Ästhetik. Ihre Namen sind zu zahlreich, um an dieser Stelle angeführt zu werden. Aber wenn wir Muslime all unsere brillanten Köpfe und Seelen mobilisieren, werden wir schon bald eine zweite oder dritte Renaissance erleben. Beginnen werden wir damit, dass wir Seele, Essenz, Geist und Realität des Islam neu entdecken und eine Neuinterpretation der Schöpfung verwirklichen. Diese Schöpfung erstreckt sich von den endlos weiten göttlichen Landstrichen des Sufismus bis hin zur Metaphysik des Sufismus; von der islamischen Selbstverwaltung und Selbstkontrolle bis hin zu jener Wachsamkeit, Behutsamkeit und Selbstbeherrschung, die der Menschheit Wert verleiht; von den Städten und Stadtkernen, in denen unser Selbst Ruhe und Atem schöpfen kann bis hin zu einer Schönheit, die im Besitz der ganzen Menschheit sein wird; von jener Art von Kunst, die die Seele samt ihrer Essenz, den Geist und die Realität allerorten schmückt und in allem die Unendlichkeit sucht, bis hin zu den wahren Freuden einer Ästhetik, die sich mehr und mehr am Außerweltlichen orientiert, die immer feiner wird und sich mit dem Jenseits vereinigt. In all diesen Bereichen werden wir in der Lage sein, neue Kapitel aufzuschlagen.
Viele Jahre lang war unser spirituelles Leben weitgehend erloschen. Unsere religiöse Welt war gestört: Die Zungen unserer Herzen verknoteten sich, als wir die intensive, verzückte Liebe und die spirituelle Ekstase vergaßen. Unsere Köpfe, die einst gelesen und nachgedacht hatten, verschrieben sich einem gefühllosen Positivismus. An die Stelle von Charakter, Stärke in der Religion und Standfestigkeit im Glauben traten blinder Eifer und Fanatismus. Und bei ihren Fragen nach dem Jenseits und dem Paradies dachten die Fragesteller nur noch an eine Verlängerung ihres ordinären Glücks in dieser Welt. Nur wenn wir uns darum bemühen, uns dieser fehlgerichteten, fest verwurzelten Gedanken und Überlegungen zu entledigen, wird es uns gelingen, in eine neue Zeit aufzubrechen.
Natürlich können wir uns von dieser Verderbtheit, die unsere Seelen jahrhundertelang beschmutzt hat, befreien. Da sie es ist, die für unseren Fall verantwortlich war, müssen wir sie aber abstreifen, bevor sie weiteren Schaden anrichtet. Beispielsweise sollten wir der Gier, der Untätigkeit, der Sucht nach Ruhm, dem Egoismus und dem Haften an dieser Welt entsagen und sie durch den Geist der Zufriedenheit, durch Willenskraft und Mut, Bescheidenheit und Demut, Nächstenliebe und Spiritualität, Frömmigkeit und Gottesfurcht ersetzen; denn diese Attribute bilden die Essenz und die Wahrheit des Islam.
Glücklicherweise haben wir Persönlichkeiten in unseren Reihen, die einen solchen Wandel bewerkstelligen können. Die Erneuerung und der Umbruch, den sie herbeiführen werden, werden vom Koran geprägt und maßgeblich von der menschlichen Natur beeinflusst sein. Die Gegner dieses Wandels werden ihn ebenso wenig verhindern können wie die breiten Massen; denn die Geschichte beweist, dass schon einige wenige Genies ausreichen, um eine Renaissance herbeizuführen. Diese Persönlichkeiten mit einem ganzheitlichen spirituellen Bewusstsein, die beinahe jedes Zeitalter hervorbrachte, gründeten Rechtsschulen und Denkschulen, die der breiten Masse den Geist von Umbau und Reform einhauchten. Ihre Nachfolger folgten ihnen und ihren Ideen, genau wie die Mehrheit der Menschen, die in ihrem aufgeklärten Umfeld Zuflucht suchten. Diese Persönlichkeiten wurden zu Herzblut und Seele der Menschen und lebten wie Geistwesen mit ihnen zusammen. Erst in ihrer Abwesenheit erlebten ihre Gesellschaften und Völker einen Niedergang.
Heute jedoch schöpfen wir Hoffnung; erwartungsvoll beten wir zu Gott: "Schenke uns eine Willenskraft, die von Deinem Willen unterstützt wird und unseren Seelen ein Fundament gibt! Lasse unsere Herzen wie die Blumen im Paradies erblühen, und lasse unsere Seelen die Geheimnisse der innersten Landschaften Deiner Göttlichkeit schauen! Zeige unseren Völkern, wie sie die Linie Muhammads neu beleben können!" Dies zu erbitten und auch zu erwarten, ist sowohl unser Recht als auch unsere Pflicht. Es ist die natürliche Konsequenz unseres Glaubens. Dabei müssen wir uns aber immer wieder auf unsere glorreiche Vergangenheit besinnen und die Werte, die sie so großartig gemacht haben, hochhalten. Auf diese Art und Weise ist es auch anderen Zivilisationen gelungen, sich zu erneuern.
Solange wir unsere Gedanken und unsere Gefühle, unsere Methodik und unsere Psychologie noch rekonstruieren können, wird es genügen, sie wieder zusammenzufügen, um zu unserem wunderbaren und unsterblichen Stil zurückzufinden. Daher sollten wir alle Wege, die wir beschreiten möchten, einer neuerlichen Prüfung unterziehen und sie dann ausbessern und verstärken. Unsere Pflicht besteht darin, dass wir die Inspiration und die Fruchtbarkeit unseres religiösen Strebens und Verlangens kultivieren und Ausdauer, Ernsthaftigkeit und Weisheit in unserem Denken verankern. Wir sollten Beständigkeit und Menschlichkeit mit der Freiheit, wir selbst sein zu können, verbinden; und unsere Künste und unsere Philosophie sollten sich durch Tiefe, Finesse und kontemplative Abstraktion auszeichnen. Unser Handeln und unsere Haltung sollten von Logik durchdrungen und von der Offenbarung inspiriert sein.
Im Wohlwollen Gottes liegt das höchste Ziel. Die Seele geht dem Körper voran und ist ihm voraus. Das Selbst ist eine treibende Kraft, die unter der Führung des Herzens das Pflichtbewusstsein zu neuem Leben erwecken wird. Die Liebe zur Menschheit und zur Gemeinschaft ist eine ganz und gar unverzichtbare Leidenschaft, und die Pflicht, moralisch zu handeln, ist ein lebenswichtiger Proviant für die Reise. Wir müssen uns an den Koran halten und sollten erkennen, dass der Charakter des Menschen und die wahrhaftigen menschlichen Werte entscheidende Quellen der Kraft sind. Ziele und Zielsetzungen müssen gerecht, angemessen und ehrenhaft bemessen sein, und die Wege, die zu ihnen führen, müssen in Koran und Sunna vorgezeichnet sein.
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