Ich halte die Bemühungen der Regierung in Sachen EU-Beitritt für aufrichtig
Was halten Sie von Recep Tayyip Erdogan [dem türkischen Ministerpräsidenten]?
Wir standen nie in engem Kontakt. Als er Bürgermeister [von Istanbul] war, haben wir uns einige Male getroffen; seitdem er Ministerpräsident geworden ist, jedoch nicht mehr.
Manche haben Gerüchte von der Sorte „Sie sehen sich oder „Sie haben sich getroffen" über uns in Umlauf gebracht. Nichts davon ist wahr. Wenn Sie mich fragen, ist er ein ehrlicher, charakterfester Mann. Außerdem halte ich ihn für fleißig, mutig und entschlossen. Vor allem schätze ich seine Bemühungen in der Frage des EU-Beitritts. Er tut, was getan werden muss. Aber unabhängig davon, was er tut, wird es immer wieder Menschen geben, die unzufrieden mit ihm sind oder ihn nicht mögen. Ich kann nichts Negatives über ihn sagen. Ich bin keine politische Figur und war auch noch nie Mitglied irgendeiner Partei. Ich habe noch nie gewählt, da ich noch nie die Chance dazu hatte. Heute lebe ich ja hier, und auch bei früheren Wahlen war ich hier. Aber eines möchte ich betonen: Stehlen würde er nicht. Ich habe kürzlich erklärt, dass ich Politiker nicht ausstehen kann, die veruntreuen und unterschlagen. Erdogan ist für mich keiner, der so etwas tun würde. Dasselbe kann ich von seinen engen Freunden sagen. Ich glaube, dass er gute Dinge mit der Türkei im Sinn hat. Gäbe es allerdings eine andere, effektivere und bessere politische Strömung in der Türkei, würden die Menschen vielleicht zu dieser überwechseln.
Doch das weiß Gott allein. Für den Moment hat Gott, der Allmächtige, ihm eine Gelegenheit gegeben, Macht auszuüben. Ich denke, sie sollten tun, was für die Türkei notwendig ist. Niemand sollte sich diesen positiven Entwicklungen widersetzen. Sofern sie der Türkei nützen, sollte sie niemand verhindern, ganz egal von wem sie initiiert werden. Hätte Bülent Ecevit sie angeregt, würde sich niemand gegen sie sperren. Heute hat Gott, der Allmächtige, Tayyip Erdogan die Macht gegeben. Er verfolgt einige Dinge mit großer Entschlossenheit. Sein Wirken sollte nicht boykottiert werden. Solange es der Zukunft der Türkei zu Gute kommt und es von anständigen Menschen und Geschäftsleuten akzeptiert wird, gibt es keinen Grund, seiner Politik Einhalt zu gebieten. Wir haben hier eine Demokratie. Wenn die Menschen ihn nicht mehr für geeignet befinden, können sie ihn in Wahlen jederzeit absetzen und jemand anderen wählen.
Glauben Sie, dass die [regierende] ,Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei' (AKP) ihr Schlüsselkonzept einer ,konservativen Demokratie' verwirklichen kann?
Vielleicht haben sie früher anders gedacht. Aber die Menschen verändern sich mit der Zeit. Das muss man akzeptieren. Vor 15-20 Jahren hatten sich die Muslime noch nicht für Demokratie ausgesprochen. Es gab die Demokratische Partei, trotzdem sagten sie nicht: „Wir sind Demokraten." Aber die Menschen verändern sich. Nun haben sie anscheinend den richtigen Weg gefunden. Man kann sie [die Mitglieder jener Partei] durchaus als demokratisch bezeichnen. Sie bemühen sich aufrichtig auf dem Weg der Demokratie. Das sieht man an ihren Bemühungen, der Europäischen Union beizutreten und an ihren Treffen mit Vertretern der USA. Noch deutlicher wird es an der Tatsache, dass sie nach Russland gehen und dort an Konferenzen teilnehmen. Ihre demokratischen Bestrebungen in diesem Bereich klingen - Gott weiß es am besten - in meinen Ohren ehrlich. Was wir Demokratie nennen, kann unterschiedlich interpretiert werden. Es gibt viele ganz verschiedene demokratische Systeme in der Welt. In den Zeiten des Kommunismus bezeichneten sich die entsprechenden Regime als Demokratien. Vielleicht behaupten heute die Chinesen, sie hätten eine Demokratie. Amerika nennt sich Demokratie, ebenso wie England oder auch Belgien. Auf der ganzen Welt existieren verschiedene Formen von Demokratie. Es gibt Christdemokraten, buddhistische Demokraten und jüdische Demokraten. Menschen können Demokraten sein und gleichzeitig eigene Ansichten, einen eigenen Glauben und eine eigene Philosophie pflegen. Nichts spricht dagegen, islamische Traditionen und Sitten mit der Demokratie zu verschmelzen. Meiner Meinung nach wäre eine solche Form der Demokratie absolut lebensfähig.
Zu dieser Demokratieform kann sogar Folgendes hinzugefügt werden: Diese Interpretation könnte der Demokratie Vorteile bringen, denn die Bedürfnisse des Menschen bestehen nicht nur aus weltlichen Dingen. Auf der einen Seite stehen Gedankenfreiheit und die Freiheit, Geld zu verdienen, auf der anderen Seite die Ewigkeit. Ich bin für die Ewigkeit erschaffen. Nur sie kann mich befriedigen. Eine voll ausgereifte Demokratie muss Aspekte beinhalten, die mir dabei helfen, meine Wünsche in dieser Hinsicht zu erfüllen. Das heißt, die Demokratie benötigt eine metaphysische Dimension.
Die Demokratie muss eine Seite aufweisen, die dazu in der Lage ist, dem Jenseits Rechnung zu tragen. Was spricht gegen eine solche Demokratie? Wenn sie [die Mitglieder jener Partei] eine solche Demokratie anbieten, kenne ich zwar ihre Intentionen nicht. Wenn sie dies tun, dann bedeutet das in meinen Augen jedoch, dass sie eine sehr moderne Form von Demokratie anbieten. Ich denke, sie sind in ihren demokratischen Bestrebungen, zu denen auch das Bemühen um einen EU-Beitritt zählt, ehrlich. Wie sie mich sehen, wo sie mich hinstellen und was sie von mir halten, ist unwichtig. Das Anliegen der Wahrheit muss hoch gehalten werden. Das muss ganz klar gesagt werden. Aber noch etwas: Diejenigen, die früher von Demokratie sprachen, tun das heute nicht mehr. Sie sagen: „Religiöse Menschen und Reaktionäre werden die Demokratie ausnutzen." Daher sollte man sich vom Spiel der Demokratie nicht täuschen lassen. Bei einigen Anlässen wird so etwas ganz offensichtlich behauptet.
Letzten Monat wurde in Saudi-Arabien eine internationale Konferenz abgehalten, an der auch Bill Clinton teilnahm. Männer und Frauen waren zwar unter einem Dach versammelt, aber durch einen Vorhang getrennt. Wie sehr spiegelt diese Aufteilung die Essenz des Islam wider? Finden sich dort Argumente, die Frauen und Männer daran hindern, ihre Probleme gemeinsam unter einem Dach zu diskutieren? Bill Clinton sagte auf der Konferenz etwas, das große Aufmerksamkeit erregte, nämlich: „Würde der Prophet Muhammad heute leben, führe seine Frau Auto. Ja, sie würde wohl sogar an der Spitze der Automobilindustrie stehen." Einige hielten diese Äußerung für respektlos, andere für wahr. Wie denken Sie darüber?
Dieses Thema hat eine religiöse Dimension. Zu den Richtlinien, die die Religion aufgestellt hat, gehört, dass in den meisten Fällen Frauen und Männer zusammen sitzen und aufeinander treffen. Denn auch der Prophet Muhammad traf ja mit Frauen zusammen. Sie hatten Fragen, und die stellten sie ihm; manchmal auch direkt, ohne sich vorher an eine der Ehefrauen zu wenden. Intimere frauenspezifische Angelegenheiten wurden Aischa anvertraut. Ähnliche Themen finden sich in authentischen Hadithquellen wie jenen von Bukhari und Muslim. Frauen und Männer beteten [damals] gemeinsam. Allerdings bildeten sie normalerweise eine Linie hinter den Männern. Ob sie jedoch im Einzelnen bei Husuf-Gebeten, Qusuf-Gebeten, bei Sonnenfinsternissen oder bei Gebeten um Regen zusammen beteten, ist ein andere Sache. Islamische Rechtsgelehrte haben verschiedene Dinge herausgefunden: Als man nach draußen ging, um dafür zu beten, dass es regnet, tat man dies gemeinsam. Beim Stehen vor Gott um der Erhaltung der Reinheit des Herzens willen wurde jedoch eine Trennung vorgenommen. Die Männer standen vorne, die Frauen hinter ihnen. Diese Dinge wurden so geregelt. Es ist nicht rechtens, sie einfach zu übergehen. Wichtig ist allerdings vor allem, dass wir in Hinblick auf die Methode des Fiqh [der islamischen Rechtsprechung] zu ergründen versuchen, warum sie damals so handelten.
Meiner Meinung nach können Männer und Frauen durchaus auf Stühlen nebeneinander Platz nehmen. Ich persönlich würde nicht glauben, damit irgendetwas falsch zu machen. Sie fahren zusammen im Auto, gehen gemeinsam einkaufen, besuchen ein und dieselbe Schule und gehen auch auf dem Schulweg zusammen. Das ist die eine Sache.
Die andere Seite ist die, dass wenn Menschen der Trennung so große Bedeutung beimessen und sie als religiöse Verpflichtung sehen, dies respektiert werden muss. Und so sehen es die Saudis. Ich habe einmal Bilder vom jemenitischen Parlament im Fernsehen gesehen. Es wurde gezeigt, dass Frauen mit verhülltem Haar zusammen mit den Männern saßen. An einigen Orten ist man eben ungezwungener. Im Iran sitzt man, soweit ich weiß, getrennt. In einigen Konferenzen sitzen Männer und Frauen, jedoch hintereinander. Einerseits muss die Haltung der Religion in dieser Frage definiert werden. Hier müssen Experten zu Wort kommen. Andererseits sollte man Respekt gegenüber solchen Menschen üben, die der Auffassung sind, dass den Gefühlen und Entscheidungen der Menschen Respekt entgegengebracht werden sollte.
Was Clintons Aussage über unseren Propheten betrifft, so könnte das Eine wie auch das Andere zutreffen. Aber: Niemand sollte so leichtfertig über unseren Propheten sprechen. Weil diese Worte von Clinton stammen, will ich nichts gesagt haben; denn er ist nicht in einer Position, die es zuließe, Kommentare über den Propheten abzugeben. Sein Urteilsvermögen über den Propheten ist sehr begrenzt. Wenn ein Muslim das gesagt hätte, was Clinton gesagt hat, hätte ich ihn/sie dafür kritisiert. Niemand weiß, wo und wie unser Propheten handeln würde. Er war ein Mensch der Pflicht. Was er tat, war gerecht, denn er tat es so, wie Gott ihn geheißen hatte. Clinton stand es nicht zu, so etwas von sich zu geben.
Was halten Sie von Deniz Baykals Konzept einer Opposition in dieser Legislaturperiode? Ist er nicht ein wenig übel wollend?
Deniz Baykal ist kein übel wollender Mensch. Ich denke, er muss den Leuten, die ihn umgeben, Zugeständnisse machen. Er hat seine Unterstützter, und er hat den Plenarsaal. Um Hand in Hand mit ihrer Anhängerschaft zu gehen, ändern die Menschen ihr Verhalten. Sie ziehen die allgemeinen Gefühle ihrer Anhängerschaft ins Kalkül. Ich kann mir vorstellen, dass auch er das tun muss oder dass er zumindest denkt, dass er das tun muss. Aber ich kenne ihn nur aus der Ferne. Beurteilen kann ich seinen Charakter, und daher kann ich sagen, dass er nicht übel wollend ist. Allerdings glaube ich, dass es Menschen gibt, die nicht stillstehen können.
Letzten Monat kam es zu einer Diskussion über so etwas wie eine [Militär-] Junta. Es begann mit einem Artikel in der Zeitung ,Cumhuriyet' mit dem Titel: „Junge Offiziere sind besorgt." Nach der Veröffentlichung dieses Artikels wurde diskutiert. Sie werden das vielleicht verfolgt haben...
So wie ich es verstanden habe, wissen die führenden Persönlichkeiten dieser Institution und einige wichtige andere Leute, ob es entsprechende Bestrebungen gibt oder nicht. Und wenn sie es wissen, glaube ich, dass sie alles tun werden, die Einheit des Militärs nicht zu gefährden. Ich hoffe inständig, dass keine Junta an die Macht kommen wird. Wenn doch, würde man sie diskreditieren und beseitigen. Seit den Geschehnissen vom 27. Mai kenne ich diese Institution. Damals leistete ich meinen Militärdienst in Mamak ab. Der Führer der Putschisten, Talat Aydemir, wurde vernichtet. Dass es heute eine Verschwörung gibt, wüsste ich nicht. Möglich wäre es schon. Doch wie dem auch sei - Putschisten kann man nicht verändern. Wenn sie heute so handeln, wird sie Gott, der Allmächtige, jedoch morgen zermürben.
- Erstellt am .